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Premierenkritik "Der feurige Engel" Ein musikgewordener Drogenrausch

Sergej Prokofjew erzählt in seiner Oper "Der feurige Engel" die Geschichte einer von sexuellen Visionen geplagten Frau. Die Oper stand einst in der UDSSR auf dem Index. Als Münchner Erstaufführung brachte das Werk nun die Bayerische Staatsoper heraus. Am Sonntag war Premiere.

Ein Hotelzimmer innerhalb einer Viertelstunde mit einer wildfremden Person zu verwüsten, dazu gehört schon was. Dabei wirkte dieser Ruprecht, als er das Zimmer betrat, sich erstmal einen Wodka eingoss und es sich auf dem Bett gemütlich machte, eigentlich recht normal in seiner Gemütsverfassung. Doch dann tauchte diese Frau unter seinem Bett auf, die sich von Dämonen verfolgt fühlt und die Ruprecht - ganz Mann -sofort glaubte beschützen zu müssen. Damit nahm das Verhängnis seinen Lauf und die Verwüstung der schönen Suite - die am Ende der Oper nur mehr eine verkokelte Ruine ist.

Eine furiose Höllenfahrt

Eine Dreiecksliebesgeschichte ist immer kompliziert. Aber noch komplizierter ist sie, wenn eine der beteiligten Personen ein Phantom ist. Renate meint dieses Phantom, das ihr mit acht Jahren zum ersten Mal erschienen ist, zu lieben. Ruprecht, der Renata gerne für sich gewinnen möchte, versucht sie von dem Phantom zu befreien. Prokofjews Oper „Der feurige Engel“, in den 20er Jahren entstanden, ist eine furios sich steigernde Höllenfahrt in Sachen Liebe und Wahnsinn – singulär in ihrer Art, am nächsten noch den Wahnsinnsfrauen in Richard Strauss' Opern Salome und Elektra.

Drastik und Orgiastik

"Der feurige Engel" von Sergej Prokofjew an der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: Wilfried Hösl Svetlana Sozdateleva (Renata), Evgeny Nikitin (Ruprecht) | Bildquelle: Wilfried Hösl Regisseur Barry Kosky läßt das Opern-Grusical zunächst in fast pedantisch realistischem Ambiente  spielen. Und das ist auch gut so, denn der Wahnsinn, der die beiden Protagonisten mehr und mehr befällt, wirkt in dieser von Rebecca Ringst gestalteten neobarocken Fünfsterne-Hotelsuite nur umso wahnsinniger.  Und später hat Kosky auch noch genug Gelegenheiten, sich bei den diversen Höllenspukszenen mit Drastik und Orgiastik, bis hin zu ihre Gemächte lustig schwingenden Teufeln in Strapsen und Miedern, auszutoben und eine Art Rocky Horror Picture Show auf der Nationaltheaterbühne zu entfesseln.

Ein musikgewordener Drogenrausch

Ebenso verhält es sich mit der Musik, die Vladimir Jurowski mit großer Übersicht ihren diabolischen Höhepunkten entgegenschäumen läßt, ohne sie einem Dauerexpressivo zu opfern. Die beiden Hauptdarsteller, die beinahe die gesamten zwei Stunden Spielzeit auf der Bühne agieren, werden es ihm danken. Ihre Partien stellen extreme Anforderungen. Mit flackerndem Sopran, zwischen Wahn und Normalität faszinierend hin und herpendelnd, durchlebt und durchleidet Svetlana Sozdateleva diese von ihren Visionen gebeutelte Renata. Und Evgeny Nikitin, dem als Ruprecht ebenfalls mehr und mehr die Rationalität abhanden kommt, ist ihr mit nicht minder expressiver Stimmpower ebenbürtig. Auch alle weiteren Partien bis hin zum hervorragenden Chor sind in dieser musikalisch und szenisch überaus geschlossen wirkenden Produktion hervorragend besetzt. Besonders hervorzuheben Cevin Conners als Mephisto und Vladimir Galouzine als Magier. Auch wenn die Schlussszene mit ausführlichem Exorzismus etwas zu lang geraten ist, wirkt diese Oper wie ein musikgewordener Drogenrausch mit nicht geringem Verstörungspotential.

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