Roland Böer ist seit Herbst neuer Chefdirigent der Staatsphilharmonie Nürnberg und Generalmusikdirektor am Staatstheater - als Nachfolger von Joana Mallwitz. Für zwei Spielzeiten wird er das Orchester leiten, bis Ensemble und Beschäftigte aus dem renovierungsbedürftigen Opernhaus ausziehen müssen.
Bildquelle: Ludwig Olah
BR-KLASSIK: Herr Böer, seit Herbst 2023 sind Sie neuer Chefdirigent der Staatsphilharmonie Nürnberg und haben das Amt von Joana Mallwitz übernommen. Vor einem knappen Jahr haben wir beide uns unterhalten über das, was auf Sie zukommt. Sie haben von Herausforderungen gesprochen, die Sie aber gerne annehmen wollen. Die Sanierung des Opernhauses steht zum Beispiel an. Wie sieht es denn mit Ihrem Optimismus und Ihrem Tatendrang aus? Haben Sie als Chefdirigent Vorsätze fürs neue Jahr?
Roland Böer: Ich muss sagen, ich bin geradezu überwältigt von dem unglaublich warmherzigen Empfang, der mir bereitet wurde seitens des Hauses, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber vor allen aber auch seitens unseres Publikums. Wir haben uns für den Beginn der Spielzeit kein leichtes Programm vorgenommen. In der Oper lief mit "Mathis der Maler" von Paul Hindemith ein Titel, der musikalisch eine echte Herausforderung war. Aber auch im symphonischen Bereich haben wir ein großes Statement gemacht mit Musik von Karl Amadeus Hartmann und Anton Bruckner. Das heißt, es war schon ein Wagnis, künstlerisch gesehen. Wir wollten aber eine starke Aussage treffen und uns positionieren, auch zu bestimmten Fragen, die uns Künstlerinnen und Künstler betreffen, und die gesellschaftspolitisch interessant sind. Das Echo, was sich in den Veranstaltungen mit den diversen Freundeskreisen der Staatsphilharmonie und auch der Opernfreunde erhalten habe, ist so unglaublich positiv gewesen und ermutigend. Insofern denke ich, dass wir auf einem sehr guten Weg sind.
Ich bin geradezu überwältigt, von dem unglaublich warmherzigen Empfang.
BR-KLASSIK: Sie haben sich ein witziges Video einfallen lassen, das auf der Website der Nürnberger Staatsoper zu sehen ist. Darin nehmen Sie das Programm ihres Neujahrskonzerts auf, das Sie jetzt dirigieren. "Jahreszeiten" ist das Thema. Sie sind dafür bei anderen Komponisten als Vivaldi fündig geworden: Glasunow und Verdi.
Bildquelle: Barbara Aumüller Roland Böer: Glasunow kenne ich, seit ich vor ungefähr zehn Jahren im Auftrag des Bayerischen Rundfunks eine Aufnahme dieses Werks gemacht habe, zusammen mit den Bamberger Symphonikern. Anlässlich dieser Aufnahme habe ich das Werk lieben gelernt und habe es seitdem auch das eine oder andere Mal in Auszügen dirigiert. Ein Hintergedanke bei der gesamten Programmierung der Spielzeit war, bekannte Titel zu servieren, die aber eben nicht von dem Komponisten kommen, von dem wir sie erwarten. Das ist natürlich bei den vier Jahreszeiten ganz überdeutlich. Wunderbarer Weise hat Verdi als Balletteinlage zu den "I vespri siciliani" eine Ballettmusik mit dem Titel "Die vier Jahreszeiten" geschrieben. Es gibt so viele Parallelen, aber auch so viele Unterschiede zu Vivaldi, das fand ich schon sehr interessant. Unser Motto ist ja auch an unser Publikum gerichtet: Bleiben Sie neugierig. Die Ohren immer offenhalten und sich freuen über wunderbare Musik, die vielleicht bis dahin noch nicht bekannt war.
Zum neuen Jahr gibt die Staatsphilharmonie Nürnberg unter Chefdirigent Roland Böer gleich fünf Konzerte. Los geht es am 3. Januar um 19:30 Uhr im Opernhaus. Alle Informationen dazu finden Sie hier.
BR-KLASSIK: Beide Jahreszeiten-Musiken, also von Glasunow und Verdi, beginnen mit dem Winter.
Roland Böer: Genau wie bei Vivaldi. Das ist sehr interessant. Wir kommen aus dem dunkelsten und kältesten Moment, aus der eisigen Erstarrung. Aber natürlich auch aus dem Moment der Wintersonnenwende und dem Beginn der längeren Tage, damit verbunden auch dem Beginn der Hoffnung auf neue Möglichkeiten. Aus dieser Eisigkeit und Ernsthaftigkeit schreiten wir los und nehmen den Jahreslauf deswegen umso dankbarer an, weil wir natürlich dann von der Wärme des Frühlings und des Sommers erfüllt werden und sich vielleicht im Herbst die Früchte dessen zeigen, was wir uns im Winter ausgedacht haben.
Meine Meinung ist, dass wir als Künstler gerade in Zeiten der Not und der Bedrängnis eine unglaublich wichtige Aufgabe haben.
BR-KLASSIK: Was den Jahresverlauf angeht: Was haben Sie denn noch vor?
Bildquelle: Barbara Aumüller Roland Böer: Es wird natürlich einen interessanten, abwechslungsreichen Opernspielplan geben. Ich freue mich hier ganz besonders auf meine beiden nächsten Premieren. Am Tag nach dem letzten Neujahrskonzert beginnen die Orchesterproben für "Don Giovanni", worauf ich mich sehr freue. Was die symphonischen Konzerte anbetrifft, ist die Aufführung von Mahlers Zweiter Symphonie erwähnenswert. Zusätzlich zu unserem hauseigenen Opernchor haben wir noch drei weitere städtische Chöre auf der Bühne. Das heißt, wir haben insgesamt 160 Mann und Frauen auf der Bühne.
BR-KLASSIK: Wir Musikmacher und -macherinnen stehen ja spätestens seit dem Krieg gegen die Ukraine vor der Frage: Wie gehen wir mit solchen Ereignissen um? Dürfen wir lustig und unterhaltsam sein, wenn vieles eigentlich nur traurig ist? Haben Sie für sich einen Standpunkt gefunden?
Roland Böer: Für mich gehen hier die Kolleginnen und Kollegen aus der Ukraine und auch aus Russland, die Sängerinnen und Sänger, die Musikerinnen und Musiker mit leuchtendem Beispiel voran. Ich persönlich habe sehr viele Freunde auf beiden Seiten. Wir haben hier Mitglieder im Ensemble, die aus diesen Gebieten kommen und die uns mitreißen mit ihrem künstlerischen und moralischen Enthusiasmus. Ich glaube, wir sollten uns an genau diesen Menschen orientieren. Meine persönliche Meinung ist, dass wir als Künstler gerade in Zeiten der Not und der Bedrängnis, der Ungerechtigkeit und der Gewalt mit unseren Möglichkeiten eine unglaublich wertvolle und wichtige Aufgabe haben: Die Menschen in ihren Herzen zu berühren und zum Umdenken und Umfühlen zu bewegen, sich zu sensibilisieren für das, was uns umgibt.
Sendung: "Allegro" am 3. Januar 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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