Es wäre ein spektakuläres Duo gewesen: Zwei der besten Pianisten der Gegenwart, Evgeny Kissin und András Schiff, hatten sich bei den Salzburger Festspielen angekündigt. Doch Kissin ist krank – und so sprang Schiff in einem spontanen Soloabend ein und spielte ein Überraschungsprogramm.
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Kritik
András Schiff spielt bei den Salzburger Festspielen
Auf dem Programmzettel steht die Biografie - sonst nichts. András Schiff kommt rein, spielt die Aria aus den "Goldbergvariationen" und erklärt danach dem verblüfften Publikum: Das war die Zugabe. Am Schluss wird's keine geben. Denn das letzte Stück werde so lang sein und so fordernd, aber auch beglückend, dass eine Zugabe danach eine Zumutung wäre.
Schiff ist ein wunderbarer Pianist – und ein ebenso charmanter wie listiger Moderator. Denn natürlich sind jetzt alle gespannt, was da wohl noch kommt. Aber zuerst erzählt Schiff, wie sehr er sich auf das Duoprogramm mit Evgeny Kissin gefreut habe. Doch von den geplanten acht Konzerten habe nur das erste im März stattfinden können: "Danach war entweder er coronakrank oder ich. Oder wir beide. Und jetzt hat der arme Schenja Schmerzen im linken Arm, es tut mir sehr leid, dass er nicht da ist." Nur die beste Musik wolle er spielen, verspricht Schiff. Und die stamme von Bach, Mozart, Haydn, Beethoven und Schubert.
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Die fünfte Französische Suite in G-Dur von Bach spielt Schiff überwältigend gut. Die Details funkeln, der große Atem trägt sie. Schiff hat ja eine ungewöhnliche Vorliebe für Bösendorfer Flügel. Er sträubt sich gegen den brillanten, aber etwas eigenschaftslosen Einheitsklang des allgegenwärtigen Steinways. Schon die auffällige Maserung des rötlichen Holzes signalisiert, dass dieser Flügel etwas anders ist. Rauer, farbiger, dunkler ist der Klang. Besonders schön und markant, aber auch durchsichtig klingt das Bassregister – wie geschaffen dafür, Linien zu zeichnen. Und das tut Schiff: Er bringt die Stimmen wirklich miteinander ins Gespräch. Bass und Oberstimme umwerben sich, stellen sich Fragen, antworten einander. Sprechen, singen – und vor allem tanzen: Bei Schiff ist Bachs Kontrapunkt nicht nur ein intellektuelles Vergnügen, sondern etwas Körperliches. Jeder der Tanzsätze bewegt sich ganz individuell: lässig, innig, zärtlich, witzig.
Haydn, sagt Schiff sei der meistunterschätzte unter den besten Komponisten. Er werde immer für ihn kämpfen. Und spielt eine frühe Moll-Sonate mit aufregenden Lichtwechseln, die sich zwischen nächtlichem Moll und scharf kontrastierendem Dur ihren überraschenden Weg sucht: Haydn, der unterschätzte Revolutionär.
Kurios: Die Zugabe spielte András Schiff bei diesem Konzert gleich am Anfang. | Bildquelle: SF / Marco Borrelli Interessanterweise ist Beethoven unter den fünf Komponisten, die Schiff an diesem Abend spielt, derjenige, der ihm am wenigsten liegt. Das mag daran liegen, dass Schiff, anders als Beethoven, so vollendet höflich im Umgang ist – jedenfalls erlebt man ihn so im Gespräch. Als Dirigent scheint er durchaus gelegentlich sehr deutliche Worte gefunden zu haben – einmal wurde er im Streit mit einem Orchester förmlich ausgeladen. Aber das ist ganz sicher nicht typisch für András Schiff, den ungarischen Gentleman mit Vorliebe für feine britische Ironie. Beethoven will mit dem Kopf durch die Wand – Schiff nicht. Die schroffen Kontraste der späten Bagatellen mildert er ab, als wolle er dem zu spontanen Wutausbrüchen neigenden Komponisten gut zureden, sich doch etwas gesitteter zu benehmen. Das ist ein wenig schade – aber die einzige sanfte Enttäuschung des Abends.
Großartig gelingen Mozarts a-Moll-Rondo und dann das Werk, nach dem sich für Schiff jede Zugabe verbietet: die weiträumige A-Dur-Sonate von Franz Schubert, geschrieben im Todesjahr des Komponisten. Im langsamen Satz beschwört der todkranke Schubert eine Art Katastrophe in Tönen herauf – das ist radikale, krasse Musik, verzweifelt, unberechenbar, an der Grenze zum Wahnsinn. Auch hier wieder könnte Schiff noch heftiger spielen, noch mehr ins Extrem gehen. Die anderen Sätze sind dagegen das pure Schubert-Glück. Wie von allein entfalten sich die Gefühlswelten: Schubert singt, träumt, spielt. Gedankenverloren, aber geistesgegenwärtig. Ein beiläufiges Lied wächst sich unversehens zu einem monumentalen symphonischen Hymnus aus – und verabschiedet sich ganz gelöst, heiter und verspielt in den Klavierhimmel. Ein beglückender Abend.
Sendung: "Allegro" am 10. August 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK.
Kommentare (1)
Donnerstag, 11.August, 10:34 Uhr
Konrad Jäckle
Solo Konzert Andras Schiff
Schade nur, dass man’s selber nicht erlebt hat!