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Der Musikmanager Siegfried Loch wird 80 Jahre alt "Sidney Bechet traf mich wie ein Blitz"

Was haben Schlagerstimmen wie Jürgen Drews mit Jazzmusikern wie Esbjörn Svensson und Michael Wollny gemeinsam? Ihre Karrieren wurden durch denselben Musikmanager gefördert: Siegfried Loch. Als Deutschland- und später Europa-Chef des Konzerns WEA arbeitete er mit Pop-Stars wie Marius Müller-Westernhagen, aber auch den Rolling Stones und Rod Stewart zusammen. Doch diese Karriere gab er auf – und seit 1992 betreibt er ein eigenes Label für Jazz. Denn Jazz ist die Musik, die Loch in frühen Jahren für sich entdeckte. "The first cut is the deepest", sagt er mit dem Titel eines Rod-Stewart-Songs.

Bildquelle: Roland Spiegel

Das Porträt zum Anhören

Siegfried Lochs "first cut" war ein Jazzkonzert. 1955 schlich er sich mit einem Freund in ein Gastspiel des Sopransaxophonisten Sidney Bechet in Hannover. Er kannte Bechet vorher gar nicht ("ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt nie bewusst Jazz gehört"), und einen Konzertbesuch konnte er sich auch nicht leisten. Das Taschengeld dafür hatte er nicht. Doch ein guter Freund hatte ihm von Bechet vorgeschwärmt – und so verschafften sich die Beiden Zugang über den Heizungskeller der Niedersachsenhalle in Hannover. Die war an diesem Abend mit zweieinhalbtausend Besuchern gefüllt, und Loch erzählt: "In dem Augenblick, als wir in die Halle kamen, spielte dieser weißhaarige kleine Mann auf seinem Sopransaxophon. Es hat mich getroffen wie ein Blitzschlag. Er war für mich wie eine Lichtgestalt. Dieses Erlebnis hat mein Leben geprägt bis zum heutigen Tag." Nach dem Konzert lief Loch zum Künstlerausgang und ließ sich auf einem Zettel ein Autogramm geben, das er noch heute besitzt.

Von Pommern nach Hannover

Siegfried Loch wurde 1940 in Pommern nahe der Ostseeküste geboren. "Im Mai 1945 war der Krieg in Europa zu Ende, in Japan noch nicht: Am 6. August, meinem fünften Geburtstag, warfen die Amerikaner die Atombombe über Hiroshima ab", schreibt Loch in seiner Autobiographie "Plattenboss aus Leidenschaft". Da beschreibt er auch, wie er mit seiner Mutter "auf der Flucht vor der heranrückenden Roten Armee" zunächst im zerstörten Halle an der Saale landete, wie die Familie später mit dem aus dem Krieg zurückgekehrten Vater in einen Ort namens Bösewig bei Wittenberg und anschließend nach Merseburg zog – und wie seine Mutter mit ihm und seinen Geschwistern 1951 bei Nacht zum zweiten Mal Richtung Westen floh: diesmal vor der Staatssicherheit der DDR und "nur mit dem, was wir tragen konnten und am Leib trugen". Von da an lebte Siegfried Loch in Hannover. Und dort also hatte er vier Jahre später das einschneidende Erlebnis mit dem weißhaarigen Jazzmusiker Sidney Bechet und seinem Sopransaxophon.

Sidney Bechet entzündete Lochs Jazz-Leidenschaft

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« I've Found a New Baby » par Sidney Bechet (1958) | Bildquelle: fcarcena01 (via YouTube)

« I've Found a New Baby » par Sidney Bechet (1958)

Doldingers Bossa Nova im Treppenhaus

Seit dem Bechet-Konzert ließ Siegfried Loch die Musik nicht mehr los. Bald war er Amateurschlagzeuger in einer Band namens "Red Onions", benannt nach einem Stück Bechets. Mit 20 wurde Loch Vertreter für das Plattenlabel EMI Electrola, zwei Jahre später wechselte er zu "Philips Ton". Für dieses Label überredete den jungen Klaus Doldinger, den er bei Konzerten in Düsseldorf gehört hatte, zu "Bossa Nova"-Aufnahmen. Doldinger wollte eigentlich gar keine "Bossa Nova"-Stücke spielen, aber Loch witterte, dass dieser damals gerade weltweit erfolgreiche neue Sound ein guter Einstieg für den Saxophonisten und späteren Filmmusik-Komponisten wäre, realisierte mit ihm seine erste Produktion – mit der besonderen Zutat eines Nachhalls, der entstand, indem das Saxophon in einem Treppenhaus aufgenommen wurde –, und eine lange Partnerschaft begann.

Internationaler Aufstieg im Pop-Geschäft

Siegfried Loch stieg immer weiter auf. 1966 wurde er in München Chef des neugegründeten Labels "Liberty / United Artists". Und nach der Begegnung mit seinem amerikanischen Mentor Nesuhi Ertegün, einem der weltweit berühmtesten Plattenproduzenten, wurde er 1971 Gründungsgeschäftsführer von "WEA Music" in Hamburg. Unter Ertegüns Leitung war in den USA aus den Labels Warner Brothers Records, Elektra und Atlantic "WEA International" entstanden. Bereits 1975 wurde Loch Vizepräsident der WEA International und von 1983 an in London der Europa-Chef von WEA. 1988 verließ er zusammen mit Ertegün WEA und beendete damit seine Karriere in Popmusik-Geschäft. Während seiner Jahre der Zusammenarbeit mit Ertegün hatte er auch bei einem außermusikalischen Deal die Hand im Spiel: Er organisierte ein Treffen von Nesuhi Ertegün mit dem Fußballer Franz Beckenbauer: Denn mit seinem Bruder Ahmet hatte Nesuhi Ertegün den Verein Cosmos New York gegründet, zu dem Beckenbauer 1977 wechselte.

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Interview: Siggi Loch - Plattenboss aus Leidenschaft (Teil 1) | Bildquelle: jazzonlinetv (via YouTube)

Interview: Siggi Loch - Plattenboss aus Leidenschaft (Teil 1)

Eine Villa für ein Bild

Kurze Zeit nach seinem Abschied von WEA gründete Siegfried Loch zusammen mit der Musikerin Annette Humpe und dem Fotografen Jim Rakete sein eigenes Label – aber dieser erste Versuch endete bereits 1989. Drei Jahre später schließlich rief Loch in Hamburg unter seiner alleinigen Regie "Act Music & Vision" ins Leben. Mit dem Label zog er 1998 nach Feldafing bei München. Mittlerweile lebt er zusammen mit seiner Frau Sissy, mit der er seit 1964 verheiratet ist, in Berlin, wo er 2008 vom Erlös eines in seinem Besitz befindlichen Bildes des Malers Gerhard Richter eine Villa kaufte. Das Label hat noch immer eine Dependance in München – und ein Büro in Berlin.

American Folk Blues, die Rattles und eine weisse Taube

Mit völlig unterschiedlicher Musik hat sich Siegfried Loch in seinem Berufsleben umgeben. In frühen Jahren brachte er als Produzent auch das gerade für die britische Blues- und Rock-Szene bedeutende "American Folk Blues Festival" heraus, daneben Popmusik, die im Hamburger "Star-Club" angesagt war: etwa von den"Rattles" und den "Searchers". Am selben Ort entstand, produziert von ihm, auch eines der aufregendsten Pop-Live-Alben der bisherigen Geschichte: "Live At the Star-Club" des Rock'n'Roll- und Country-Sängers Jerry Lee Lewis aus dem Jahr 1964 – ein mitreißendes Zeugnis musikalischer Ekstase. Später gehörten unter anderem der Gitarrist Sigi Schwab und der Geiger Jean-Luc Ponty zu den von Siegfried Loch geförderten Künstlern. Er holte den Vokal-Akrobaten und späteren Weltstar Al Jarreau zu seinem Label, der von einem anderen Plattenriesen abgelehnt worden war. Er arbeitete mit den Eagles und Fleetwood Mac in Zeiten ihrer größten Erfolge, mit George Harrison und gleichzeitig mit Jazzmusikern wie Joachim Kühn, Philip Catherine und Wolfgang Schmid. Auch den Hit "Ein Bett im Kornfeld" mit dem Sonny-Boy Jürgen Drews brachte Loch auf den Weg: Er hatte das Original der amerikanischen Bellamy Brothers gehört und eine deutsche Übersetzung für Drews eingefädelt, die dann 24 Wochen in den deutschen Hitparaden war. Loch verzieh es Drews lange Zeit nicht, dass dieser postwendend Abwanderungstendenzen zeigte. Ein weiterer kommerzieller Groß-Erfolg: 1975 brachte Loch den Song "Paloma Blanca" der holländischen Gruppe George Baker Selection heraus, der von den Niederlanden bis Neuseeland Nummer-1-Erfolge feierte. Das musikalisch penetrant einfache Wege gehende Lied hat so gar nichts mit der Energie des Blues oder des Jazz zu tun, aber Loch sagt: "Ich wusste: Das ist ein Hit. Und ich konnte einfach nicht an einem Nummer-1-Hit vorbeigehen.

Aufgenommen für ACT – "dodge the dodo" von e.s.t.

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Dodge the Dodo | Bildquelle: Esbjörn Svensson Trio - Topic (via YouTube)

Dodge the Dodo

Beinahe Schlussstrich nach Esbjörn Svenssons Tod

In seinem eigenen Label ACT feierte Siegfried Loch nicht zuletzt mit einer schwedischen Band herausragende Erfolge: dem Trio des Pianisten Esbjörn Svensson, das die Klaviertrio-Tradition des Jazz mit Rock-Energie zusammenbrachte. Esbjörn Svensson verunglückte 2008 tödlich bei einem Tauch-Unfall – den Tag, an dem der Pianist starb, bezeichnet Loch als den schwersten seines Lebens. Immer wieder sprach der Produzent davon, dass er daraufhin überlegte, sein Label aufzugeben. Doch dann hörte er Musik des deutschen Pianisten Michael Wollny – und machte weiter. Loch sieht sein Label vor allem als eines, das Entdeckungen macht. Immer wieder präsentiert es junge, noch weitgehend unbekannte Musiker – wie etwa 2020 die 1995 geborene deutsche Musikerin Johanna Summer und den 2001 geborenen Saxophonisten Jakob Manz. Europäische Spitzenmusiker wie Pianist Michael Wollny, Akkordeonist Vincent Peirani oder Saxophonist Marius Neset prägen den Klang des Labels, das der Inhaber mit viel Energie und Vermarktungsgeschick in der Szene platziert hat.

Ausdruck von Freiheit, der auf das Herz zielt

Jazz ist für Siegfried Loch "die Idee von Freiheit des Einzelnen in einer Gruppe von Gleichgesinnten." Gut ist Jazz seiner Meinung nach dann, "wenn er die Menschen im Herzen erreicht". Die Aufgabe eines Plattenlabels sieht Loch darin, "Künstler zu fördern und ihnen zu helfen, ein größeres Publikum zu erreichen, als sie es ohne das Label finden würden." Sich selbst charakterisiert er so: "Siggi Loch ist – getrieben von seinen Leidenschaften – eine Art Triebtäter: Für alles, wofür er sich jemals begeistert hat, setzt er sich bedingungslos ein, ohne Rücksicht auf Verluste." Auf die Frage, mit wem er gern zusammengearbeitet hätte, sagt er: "Mit Nesuhi Ertegün. Naja, das hab' ich ja." Und dann setzt er hinzu: "Ich hab' eigentlich immer meine Ziele erreicht. Es gibt keine unerfüllten Ziele."

Sendungen:
"Allegro" am 06. August 2020 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
"All that Jazz" am 06. August 2020 ab 23:05 Uhr auf BR-KLASSIK: Ein Gespräch mit Siegfried Loch anlässlich seines 80. Geburtstags

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