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Silvio Varviso zum 100. Geburtstag Naturverbundener Kulturmensch

Ein Leben lang lernen. Ein Leben lang die ganz großen Opern dirigieren. Ein Leben lang mit den großen Sängerinnen und Sängern arbeiten: Am 26. Februar wäre der Schweizer Dirigent Silvio Varviso 100 Jahre alt geworden. Ein Blick auf ein Leben voller Kunst.

Der Schweizer Dirigent Silvio Varviso dirigiert im Juli 1972 während der Bayreuther Festspiele den "Lohengrin". | Bildquelle: picture-alliance / dpa | Karl Schnoerrer

Bildquelle: picture-alliance / dpa | Karl Schnoerrer

Sein Vater ist ein echter Klassikfan, weiß viel über Musik und Gesang. Für Silvio Varviso sind das prägende Kindheitseindrücke, damals in Zürich, in den 1920er Jahren. Wie sein Vater Sängerinnen und Sänger aus dem Ensemble des städtischen Opernhauses zu sich einlädt. Wie die sprühenden Funken auf den Vierjährigen überspringen und er sich schnell selbst ans Klavier setzt. Mit dem Ziel, für die großen Stimmen, Sopranistinnen und Tenöre, ein mitgestaltender Partner am Flügel zu sein. Der Gang zum Konservatorium ist die logische Folge, außer Klavier studiert Varviso auch Violine, Klarinette, Trompete und Schlaginstrumente.

Ich musste eigentlich mein ganzes Leben lernen, lernen, lernen.
Silvio Varviso

Clemens Krauss besorgte den Feinschliff

Des Lernens wird der Neugierige nicht müde: Er lernt mit großer Hingabe. Auch das Dirigieren. Schon mit 17 Jahren kommen erste Erfahrungen mit dem Taktstock hinzu. Niemand inspiriert Varviso anfangs so sehr wie Wilhelm Furtwängler. Bei Clemens Krauss in Wien holt er sich den sogenannten Feinschliff. "Ich musste eigentlich mein ganzes Leben lernen, lernen, lernen – oft bis in die Nacht", sagt Varviso. Seine Mutter sei um fünf Uhr morgens zu ihm gekommen, habe ihm ein Glas Tee angeboten. Die Antwort: "Muss hier noch lernen! Und von Platte zu Platte wusste ich dann: Du musst da mehr Wert legen auf die Bässe oder da auf die Mittelstimmen! Auf das Wesentliche, wo es bei einer Komposition drauf ankommt!"

Karrierehelferin Teresa Berganza

Repertoirestücke Mozarts, "Le Nozze di Figaro" und "Die Zauberflöte", sind die ersten Opern, für die er dirigentische Verantwortung übernimmt. Mehr noch als St.Gallen (1944-50) wird Basel (1956-62) zum Sprungbrett für die Laufbahn des Schweizers. Wichtig sind dafür auch Plattenprojekte im Studio: Gleich das erste ist sehr prominent besetzt, mit der wunderbaren spanischen Mezzosopranistin Teresa Berganza in der Opera buffa "L'italiana in Algeri" von Gioachino Rossini. Bis heute ist dies innerhalb der Diskografie eine überragende Interpretation!

Bald auf den großen Bühnen

Bald stehen für Varviso die renommiertesten Bühnen der Welt offen. Allein an der Metropolitan Opera New York kommt es zu 14 Produktionen, die er aus dem Orchestergraben betreut. Er tritt auch ans Pult, als die berühmte australische Diva Joan Sutherland ihr Debüt an der Metropolitan Opera gibt: mit Gaetano Donizettis "Lucia di Lammermoor".

Der Grüne Hügel als Gipfel

Der Leiter der Wagner-Festspiele in Bayreuth, Wolfgang Wagner (r), der in diesem Jahr die Regie von Lohengrin übernommen hat, steht am 01.07.1972 während einer Probe mit Norbert Balatsch (l), dem Leiter des Festspielchores, dem Dirigenten Silvio Varviso (2.v.l.) und der Opernsängerin Hannelore Bode (Elsa) auf der Bühne.  | Bildquelle: picture-alliance / Karl Schnörrer | Karl Schnörrer Silvio Varviso (2.v.l.) mit Wolfgang Wagner (r), Norbert Balatsch und der Sängerin Hannelore Bode 1972 auf der Bayreuther Bühne. | Bildquelle: picture-alliance / Karl Schnörrer | Karl Schnörrer Verantwortung als Chef übernimmt Varviso an der Königlichen Oper in Stockholm (1965-71). Bald ruft auch der Wagner-Enkel Wolfgang an: zu einer Zeit, als er die Geschicke der Bayreuther Festspiele schon allein lenkt, nicht lange nach dem Tod seines Bruders Wieland. Natürlich zögert Varviso keinen Augenblick, die dirigentische Herausforderung namens "mystischer Abgrund" anzunehmen. Im Lauf der Jahre betreut er auf dem Grünen Hügel drei Produktionen: den "Fliegenden Holländer", "Lohengrin" und "Die Meistersinger von Nürnberg". So arbeitet er mit herausragenden Wagner-Sängern wie René Kollo und Karl Ridderbusch zusammen. Und was der Schweizer besonders liebt: mit Regisseuren gemeinsam und kooperativ Regiekonzepte zu entwickeln und zu diskutieren! Sein Favorit aus dieser Zunft ist Götz Friedrich. Zumal in Varvisos Jahren als Generalmusikdirektor der Württembergischen Staatsoper Stuttgart (1972-79) kommt es zu intensiver Zusammenarbeit mit diesem großen Regisseur.

Dirigent und Gartenarbeiter

Irgendwann entdeckt der Privatmann Varviso Südfrankreich für sich. In der Nähe von Cannes geht er in seiner Freizeit der Gartenarbeit nach, pflanzt Bäume, freut sich wie ein Kind über den Moment, in dem Zitronen oder Orangen zu ernten sind. Varviso – der naturverbundene Kulturmensch. Noch sechs Wochen vor seinem Tod leitet der 82-Jährige eine Aufführung von Giacomo Puccinis "Tosca" in Antwerpen. Und dort, in Belgien, stirbt er auch – am 1. November 2006.

Sendung: Con Passione, Montag, 26. Februar 2024, 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (3)

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Mittwoch, 21.Februar, 16:07 Uhr

Axel Peppermüller

Silvio Varviso

Danke für Ihren Beitrag über diesen wunderbaren Dirigenten.Er ruft bei mir Erinnerungen
wach als ich in den Endfünziger Jahren ihn an der Städtischen Oper Berlin hören durfte.
Er dirigierte dort bevor die Berliner Oper (West) umzog in die Bismarckstraße und zur
Deutschen Oper Beelin wurde.
Ich erinnere -auch nach solange Zeit-noch wunderbare Aufführungen gehört zu haben.
Im Gedächnis eine einmalig schöne Vorstellung vom Rosenkavalier mit Elisabet Grümmer,
Lisa Otto,Kerstin Meyer und Ochs war Josef Greindel.
Auch im Gedächnis blieben Abende von Verdi.
Er war ein echt unterschätzter Maestro deshalb mein großer Dank für diese wunderbare
Erinnerung an ihn.

Mittwoch, 21.Februar, 15:08 Uhr

Dr. Michael Strobel

Silvio Varviso

Vielen Dank für den wunderbaren Beitrag! Ich hörte Varviso seit seinem Amtsantritt 1972 in Stuttgart bis kurz vor seinem Tod in Antwerpen, wo er "Tosca' wunderbar einfühlsam dirigierte, trotz seines sichtlich schlechten Gesundheitszustandes. Varviso konnte, eine seltene Gabe, ohne Proben einen Abend zu höchsten Höhen führen und Sänger mitreißen. In seiner Stuttgarter Zeit haben alle Grössen dort gesungen, von Nilsson bis Domingo oder Caballe. Er kannte ja alle! Was für ein grosser Musiker und liebenswerter Mensch, voller Begeisterung für die Musik und die menschliche Stimme.

Mittwoch, 21.Februar, 11:37 Uhr

Herbert Gurth

Danke, daß Sie den, meiner Meinung nach völlig unterschätzten Dirigenten würdigen. Ich habe so viele unvergeßliche Aufführungen mit ihm erleben dürfen.

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