Sechs Jahre lang war Simon Rattle Chefdirigent beim London Symphony Orchestra. Jetzt verlässt der Brite sein Heimatland wieder. Ab Herbst übernimmt der den Chefposten beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Am Donnerstag dirigierte Rattle in London sein letztes Konzert im Barbican Centre, wo für ihn jetzt sogar eine Bronzebüste errichtet wird.
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Kaum waren die letzten Töne des Konzerts des London Symphony Orchestra verklungen, brandete im Konzertsaal des Barbican Centre der Applaus auf. Das Ende eines unvergesslichen Abends gepaart mit ein wenig Abschiedsschmerz: stehende Ovationen und Jubel für Sir Simon Rattle und diese Aufführung der "Turangalîla"-Symphonie von Olivier Messiaen. Ein fulminanter letzter Abend für Simon Rattle als Musikdirektor und Chefdirigent des London Symphony Orchestra.
Simone Rattle geht zur Spielzeit 202324 nach München, wo er Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks wird. Über die Gründe für diese Entscheidung sprach Rattle mit der BBC. Es gibt private Gründe, seine Frau und die insgesamt drei Kinder leben in Berlin. Von 2002 bis 2018 war er Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Er hat neben der britischen die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Aber da gibt es noch einen Grund: die Kulturpolitik in Großbritannien.
Während eines Konzerts des London Symphony Orchesters im April dieses Jahres führte Simon Rattle aus, dass die Orchester und das Kulturleben, vor allem die klassische Musik im Vereinigten Königreich bedroht sind. Fördergelder werden massiv zusammengestrichen, sah sich gezwungen, den Chor aufzulösen, revidierte die Entscheidung aber wieder. In Deutschland sei das ganz anders. In Deutschland ist die Finanzierung der Orchester deutlich besser, so, wie man es sich in Großbritannien gar nicht vorstellen könne, sagte Simon Rattle. Eine verlockende Aussicht für einen Mann, der noch so viel vorhat. Er fühle sich so, als sei er noch in seinen Zwanzigern, lediglich mit schlechten Knien ...
Der 68-Jährige wird dem London Symphony Orchester als Gastdirigent erhalten bleiben. Ab September 2023 wird Antonio Pappano designierter Chefdirigent des London Symphony Orchestra. Und trotzdem verliert London, verliert das Vereinigte Königreich mit Rattle einen herausragenden Dirigenten, einen Botschafter für die klassische Musik, der gerade auch in England junge Musiker gefördert hat und den viele kennen.
Sir Simon Rattle hat zuletzt die Kulturpolitik in Großbritannien und die Sparpläne der BBC heftig kritisiert. | Bildquelle: © Oliver Helbig Doch das Klima in Großbritannien hat sich verändert, die konservativen Regierungen der vergangenen 13 Jahre, teils stark populistisch geprägt, machten keinen Hehl daraus, dass klassische Musik nicht im Zentrum der Kulturförderung stehen sollte. Weil: elitär, abgehoben und auch nicht für die Wählerschaft der Tories interessant. Im Rest von Europa gebe es diese Einschätzung eben nicht, dass klassische Musik den Eliten vorbehalten sei, sagte Simon Rattle der BBC. Das sei ein falsches Narrativ und habe die Atmosphäre vergiftet. Musik sei für jeden da, das spüre er in seinem tiefsten Inneren.
Sendung: "Allegro" am 16. Juni 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK