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Ildar Abdrazakov Darum darf er bei den Münchner Opernfestspielen singen

In seiner Heimat Russland ist der Star-Bassist in den Opernhäusern, Konzertsälen und im Staatsfernsehen allgegenwärtig, der Kreml sponsert ihn und verlieh ihm einen Ehrentitel. Trotzdem soll Abdrazakov im Juli an der Bayerischen Staatsoper in München auftreten: Es gebe kein "eindeutiges Bild" seiner politischen Verstrickung.

Ildar Abdrazakov | Bildquelle: © Sergey Misenko

Bildquelle: © Sergey Misenko

Am 21. Juni ist er in Taschkent für das Festival "Russische Jahreszeiten" angekündigt, gesponsert vom russischen Kulturministerium. Auch für ein Open-Air-Konzert an der Wolga, das der russischen Provinz "gewidmet" sein soll und im Fernsehen übertragen wird, ist Bassist Ildar Abdrazakov angekündigt. Überhaupt ist sein Kalender offenbar gut gefüllt.

Nähe zu Putin-Regime

Mal ist er zu Gast in den TV-Shows "Meine Melodie" und der russischen Version von "The Masked Singer", wo er im Staffelfinale als roter Drache beeindruckte und gewann, mal gibt er sich bei einer Gala vor dem Dom von Kaliningrad zum "Tag Russlands" ein Stelldichein. Dabei scheut er nicht die Nähe zum Putin-Regime: Als Abdrazakov im vergangenen September in Moskau wieder mal sein eigenes Talent-Festival ausrichtete, kamen umgerechnet 200.000 Euro Staatszuschuss und Glückwünsche vom russischen Präsidenten persönlich: "Es ist erfreulich, dass das bemerkenswerte Projekt eines der führenden Opernsänger Russlands und der Welt solides Ansehen erlangt und treue Fans gewonnen hat und jedes Jahr sein kreatives Potenzial stärkt und seine Grenzen erweitert."

Abdrazakov bei Propagandaveranstaltungen

Mit dem russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu versteht sich  Abdrazakov einer Recherche des österreichischen Musikportals "Opern-News" zufolge bestens. Er habe mit ihm auf einer Silvesterparty "Moskauer Nächte" angestimmt und sei "beliebter Gast bei Propagandaveranstaltungen", auch auf dem Roten Platz, wo er in zehn Minuten 50.000 US-Dollar verdient haben soll – was ein Blick in russischsprachige Medien bestätigt. Putin verlieh dem Sänger bereits im März 2021 den Ehrentitel "Verdienter Künstler Russlands".

Im Juli an der Bayerischen Staatsoper

Trotz seiner Nähe zum Kreml, dem er mit seinem internationalen Ruhm als Werbefigur dient, wird der aus Ufa stammende Star-Bassist auch bei den Münchner Opernfestspielen im Juli vier Mal auf der Bühne stehen, in der Titelrolle von Mussorgskys "Boris Godunow" und als spanischer König Philipp II. in Verdis "Don Carlo". Das sorgte für Aufsehen: "Vielleicht hat er sich in vertraulichen Vieraugengesprächen glaubhaft von den Völker- und Menschenrechtsverletzungen distanziert. Klar ist aber, dass jeder Künstler, der im Westen auftritt und in Russland Propaganda betreibt, das Regime ein Stück weit legitimiert", schrieb "Opern-News" zum Jahrestag des Angriffskriegs im vergangenen Februar.

Met, Scala, Carnegie Hall – Auftritte gestrichen

Ildar Abdrazakov und George Petean in Verdis "Attila" an der Mailänder Scala | Bildquelle: Brescia Amisano / Teatro alla Scala Ildar Abdrazakov mit George Petean 2018 in Verdis "Attila" an der Mailänder Scala | Bildquelle: Brescia Amisano / Teatro alla Scala An der Metropolitan Opera in New York, wo er in Verdis "Macht des Schicksals" auftreten sollte, ist Abdrazakov jedenfalls nicht mehr willkommen, ebenso wenig in Boston, wo er als Konzertsänger in der 13. Symphonie von Schostakowitsch gebucht war, an der Carnegie Hall, wo er in der "Lady Macbeth von Mzensk" konzertant singen sollte, und an der Mailänder Scala, wo er noch im Dezember zur festlichen Saisoneröffnung "Boris Godunow" sang und für "Hoffmanns Erzählungen" besetzt war.

Allerdings behauptete Abdrazakov, er habe seine Termine an der Scala aus familiären Gründen gestrichen: "Mein Zeitplan ist auf mehrere Jahre im Voraus festgelegt, aber das Leben nimmt seine eigenen Wendungen vor und familiäre Umstände zwingen mich, einige Pläne abzusagen. Nun erlauben mir diese Umstände nicht, meine Familie für längere Zeit zu verlassen – vier kleine Kinder und vor allem meine Mutter, die vor mehr als einem Jahr einen schweren Schlaganfall erlitten hat und in Ufa lebt, wo ich sie regelmäßig besuche." Russische Medien behaupteten, der Sänger habe in seinem Heimatland "genug zu tun".

Bayerische Staatsoper hält an Verträgen fest

Ein Sprecher der Bayerischen Staatsoper sagte dem BR zu den geplanten Auftritten von Abdrazakov: "Wir haben die beiden bestehenden Verträge für die Opernfestspiele. Wir schätzen ihn als Künstler sehr. Darüber hinaus ist aber erst mal nichts angedacht. Er wird in nächster Zeit also nicht mehr am Haus singen, allerdings tritt er in der nächsten Spielzeit an der Staatsoper in Wien auf, in Paris, Rom, Zürich und Monte Carlo. Es ist also nicht so, dass ihn die ganze Welt nicht mehr singen lässt und München eine Ausnahme wäre, so ist es nicht."

Wir schätzen ihn als Künstler sehr.
Sprecher der Bayerischen Staatsoper

Anna Netrebko | Bildquelle: picture-alliance/dpa Auch die Star-Sopranistin Anna Netrebko ist für ihre Putin-Nähe bekannt. Und das hat Konsequenzen. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Ein "eindeutiges Bild" der politischen Verstrickung von Abdrazakov gebe es nicht, der Fall sei auch anders gelagert als bei Star-Sopranistin Anna Netrebko, die vorerst nicht mehr in München engagiert werden soll: "Im Fall von Abdrazakov waren die Verträge fertig, und in der Abwägung kam heraus, dass es Indizien dafür gibt, dass er dem Putin-Regime sehr nahesteht. Es gibt aber auch gegenteilige Aussagen, und es ist in die Waagschale zu werfen, dass er Familie und Kinder in Russland hat."

Wir müssen aufpassen, dass wir nicht alle Russen ausschließen.
Sprecher der Bayerischen Staatsoper

Die Bayerische Staatsoper hatte im März mit einer aufwändigen Produktion von Prokofjews "Krieg und Frieden" nach Leo Tolstois gleichnamigem Roman für Schlagzeilen gesorgt: Der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov inszenierte, viele russische Sänger wurden angeheuert, von denen laut Staatsoper keiner nach seiner politischen Einstellung gefragt wurde: "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht alle Russen ausschließen, sondern jeweils im Einzelfall entscheiden. Es gibt keine Akten für jeden russischstämmigen Solisten oder jeden Produktionsteilnehmer. Wenn ein Verdacht auftaucht, recherchieren wir natürlich und sprechen mit den Betroffenen. Aber es wird nicht von uns verlangt, jeden zu fragen, wie er zum Regime steht."

Bayerische Staatsoper gegen Berufsverbot

Peter Gelb, der Chef der New Yorker Met, hatte gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press gesagt, dass er "sich selbst nicht mehr im Spiegel betrachten" könne, wenn er wüsste, dass "Putins Anhänger auf der Bühne seines Theaters" aufträten. Um Haltung geht es auch der Bayerischen Staatsoper, die allerdings deutlich vorsichtiger ist, wenn es um ihre Besetzungspolitik geht: "Was vollkommen klar sein muss: Jeder, der auf der Bühne steht, kennt die Einstellung des Hauses. Die Bayerische Staatsoper verurteilt diesen Angriffskrieg durch Russland. Und da muss dann jeder damit umgehen. Ansonsten machten wir einen massiven Fehler, wenn wir Berufsverbote aussprechen würden, dann hätten wir aus der Geschichte nichts gelernt. So einfach ist die Welt leider nicht."

Sendung: "Leporello" am 15. Juni 2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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