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"Im Westen nichts Neues" startet bei Netflix Der Soundtrack zum deutschen Oscar-Kandidaten

Volker Bertelmann ist als Hauschka ein Klangtüftler am präparierten Klavier, er hat mit der Star-Geigerin Hilary Hahn zusammen ein Album aufgenommen und mit der Oscar-Gewinnerin und Cellistin Hildur Guðnadóttir zusammengearbeitet. Unter seinem bürgerlichen Namen schreibt er seit vielen Jahren Soundtracks und war auch selbst schon für einen Oscar nominiert. Für seine Musik zur Netflix-Neuverfilmung des Antikriegs-Klassikers "Im Westen nichts Neues" kam jetzt unter anderem ein Familienerbstück zum Einsatz.

Hauschka "What if" | Bildquelle: Volker Bertelmann

Bildquelle: Volker Bertelmann

Es gehörte seiner Urgroßmutter – und es wurde ihm nahegelegt, dass er doch der einzige in der Familie sei, der damit etwas anfangen könne: So landete ein altes Harmonium bei Volker Bertelmann in Düsseldorf. Früher wurde es für Hausmusik benutzt, zum Beispiel zu Weihnachten, wenn gemeinsam gesungen wurde. Denn in seiner Familie, erzählt er, da habe man auch mal einen Bachchoral angestimmt. 

Drei Töne für den Schrecken des Krieges 

Es ist ein überraschender Moment, wenn dieses ganz bestimmte, einprägsame und düstere, dreitönige Motiv zum ersten Mal in Bertelmanns Soundtrack zum Film "Im Westen nichts Neues" zu hören ist. Es klingt wie aus einem Synthesizer, leicht vibrierend, maschinell. Es reichen diese drei Töne, um das Unmenschliche der Kriegsmaschinerie auszudrücken. Der beeindruckende Effekt verstärkt sich noch durch knarzende, rhythmische Geräusche im Hintergrund – wie das Atmen durch eine Gasmaske. Kaum zu glauben: Was man hier hört, ist das gute alte Harmonium der Urgroßmutter, verfremdet durch einen Gitarrenverstärker.

Volker Bertelmann – der Klangforscher 

Volker Bertelmann hat sich insgesamt viel Mühe bei der Gestaltung der Klangwelt für seinen Score zu "Im Westen nichts Neues" gegeben. Trommeln: gehören irgendwie in einen Kriegsfilm, ja, aber bloß nicht der Klischee-Trommelwirbel zum Appell oder ein banaler Marschrhythmus. Einzelne peitschende Töne durchbrechenarhythmisch eine Rekrutierungs-Zerenomie wie Gewehrschüsse. Als lauerte den euphorisch in den Krieg ziehenden jungen Freunden hinter den Bildern auf der Leinwand schon der Tod auf. Lange hat Bertelmann nach dem richtigen Trommelklang gesucht, hat schließlich mit metallischen Gegenständen auf einer großen Basstrommel den richtigen Sound gefunden – die richtige Kombination von Schärfe im Klang und "genug Power unten drunter, eben nicht so wie viele andere Trommelsounds, die klingen wie ein Holzklotz, der von der Fensterbank fällt." 

Behutsame Klänge für die Träume junger Menschen

Aber es sind nicht nur die kreativen, überraschenden Effekte, die sich bemerkenswert schlüssig in die Dramaturgie des Films fügen, die den Soundrack zu "Im Westen nichts Neues" auszeichnen. Es ist auch die poetische Klanglandschaft, mit der Volker Bertelmann die Momente unterlegt, in den der Film von der Freundschaft und den Träumen junger Männer erzählt, deren Leben so brutal einer Zukunft beraubt wird. 

Fragmentarisch und fein webt er ausgehend von den gleichen drei Tönen, die auch das brachiale Harmonium-Motiv bilden, einen zarten Vorhang aus Streicherklängen, der über das Leinwandgeschehen weht. Er habe diesen Momenten etwas Behutsames, Schüchternes geben wollen, sagt Volker Bertelmann, "damit man das Gefühl hat, irgendwo unter dem ganzen Wahnsinn ist immer noch der Mensch." 

Oscar-Chancen für "Im Westen nichts Neues"? 

Szene aus "Im Westen nichts Neues" | Bildquelle: Reiner Bajo /© Netflix /Courtesy Everett Collection "Im Westen nichts Neues" ist ab dem 28. Oktober im Streaming-Angebot von Netflix abrufbar. | Bildquelle: Reiner Bajo /© Netflix /Courtesy Everett Collection "Im Westen nichts Neues" ist trotzdem ein harter Film, der das Kriegsgeschehen schonungslos und brutal darstellt. Es wird spannend, ob er sich auch aufgrund seiner Aktualität angesichts des in Europa tobenden Kriegs auf der Liste der Oscar-Nominierungen wiederfinden wird, wenn diese Anfang Februar bekanntgegeben werden. Denn die Neflix-Produktion ist als deutscher Beitrag in der Vorauswahl. 

Volker Bertelmann ist noch mit einem zweiten Soundtrack darin vertreten – denn er hat auch die Musik für den norwegischen Beitrag geschrieben. Auch ein Kriegsfilm, nicht wie "Im Westen nichts Neues" im Ersten, sondern im Zweiten Weltkrieg angesiedelt: "War Sailor".Vielleicht findet sich ja im Februar nicht nur einer dieser Filme, sondern auch der entsprechende Score auf der Nominierungsliste. In Deutschland zumindest ist Volker Bertelmann schon jetzt eine wohlverdiente Anerkennung für seine Filmarbeit zuteil geworden – zusammen mit Hildur Guðnadóttir wird ihm am 28. Oktober in Halle der Ehrenpreis des Deutschen Filmmusikpreises verliehen. Nach zwei Kriegsfilmen ist Volker Bertelmann jedenfalls froh, jetzt erstmal wiedereinen anderen Job zu haben: "eine Komödie mit Ben Kingsley, der einen Mann spielt, in dessen Garten ein Raumschiff landet." 

"Im Westen nichts Neues" ist ab dem 28. Oktober im Streaming-Angebot von Netflix abrufbar – gleichzeitig erscheint der Soundtrack von Volker Bertelmann digital bei den gängigen Musikanbietern.

Sendung: "Cinema" am 30. Oktober 2022 ab 18.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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