Als sie 15 war, fing die NATO an Serbien zu bombardieren. 1999 war das. Was folgte, war eine Zeit extremer Armut. Eine Zeit des Hungers, der Angst, der Inflation. Und Djordjević erinnert sich gut an diese Jahre. Bis heute verabscheut die Komponistin jede Form von Nationalismus und kommt auch in ihren Werken immer wieder auf die Geschichte zurück: die Geschichte der Balkankriege, aber auch die Geschichte der klassischen Musik.
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Im Wort Dramaturgie steckt's mit drin: das Drama. Und das kostet die Serbin Milica Djordjević ziemlich gern aus: "Ich brauche diese Intensität. Und ich denke, das passt zu mir. Wenn man es mit Leidenschaft schreibt, dann erwartet man auch, dass man es mit Leidenschaft spielt und mit Leidenschaft hört."
Ihre Akkorde sind Klangwolken. Gewittrig aufgetürmt oder aufgepustete Schönwetterstimmung. Milica Djordjević liebt das Spiel mit Farben, das Erforschen winziger klanglicher Verästelungen. Ihre liebsten Momente als Komponistin sind allerdings nicht die, in denen sie im Publikum sitzt und ihre Stücke zum ersten Mal im Konzert hört. Sondern das, was für viele wohl eher der beschwerlichere Teil der Arbeit darstellt: das Proben. Djordjević geht mit einer genauen Vorstellung heran: Wie soll das alles klingen? Und mit einer großen Lust am Tüfteln. Gemeinsam mit den Musikerinnen und Musikern entdeckt sie dabei ständig etwas Neues. Das sind ihre persönlichen Wow-Momente, so nennt sie das.
In ihren Partituren steht statt wow aber eher so was wie: rau. Oder: roh. Wer Harmonie und Wohlklang sucht, wird hier nicht fündig. Der Wahlberlinerin Djordjević geht es darum, etwas Körperliches, etwas Lustvolles mit ihrer Musik zu vermitteln.
Es ist schwer, eine eigene Stimme zu finden und zu bilden.
Bildquelle: © Astrid Ackermann Als Kind wollte Djordjević Malerin werden. Als Teenie Physikerin, Theaterregisseurin oder, immer noch: Malerin. Zur Musik kommt sie, indem sie einmal die Straße überquert: Sie meldet sich eigenhändig zum Klavierunterricht an, an der Musikschule gegenüber. Ihre Eltern sind überrascht. Und ihre Klavierlehrer dürften es auch gewesen sein. Denn Djordjević will beim Spielen immer wieder kleine Stellen verändern. Sie improvisiert mehr, als sie übt. Mit 17 Jahren beschließt sie, es liegt ja quasi auf der Hand: sie wird Komponistin. Erst studiert sie in Belgrad, dann zieht es sie nach Westeuropa. Nach Strasbourg, Paris und Berlin, wo sie bis heute lebt. Malerin ist sie nicht geworden, aber bis heute zeichnet sie erst mal, bevor sie komponiert. Milica Djordjević ist eine Suchende. Es sei schwer, eine eigene Stimme zu finden und zu bilden. Aber wenn man sie einmal gefunden hat, dann ist man wirklich unabhängig und kann wirklich autonom und individuell sein.
Autonom und individuell – das heißt mit Blick auf Djordjevićs Kompositionen auch: sich nicht irgendwelchen Trends oder Szenen zu beugen. Sie schreibt Musik für Soloinstrumente oder für Ensembles, manchmal setzt sie elektronische Klänge ein, manchmal nicht. Und sie scheut sich auch nicht, fürs große, traditionelle Sinfonieorchester zu komponieren. Mit viel Geschichte, die im Nacken sitzt.
Für eine traditionelle Besetzung zu schreiben, ist eine große Herausforderung.
Zwei Uraufführungen stehen auf dem Programm dieses Konzerts im Herkulessaal der Residenz München: Das neue Violinkonzert von Nicolaus Richter de Vroe und das Werk Mit o ptici der serbischen Komponistin Milica Djordjević. Ergänzt wird es durch Jalons (Meilensteine) für 15 InstrumentalistInnen von Iannis Xenakis. Erleben Sie im musica viva-Konzert Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Johannes Kalitzke.
Sendung: "Leporello" am 27. Oktober 2022, ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK