Was wäre das Theater oder die Oper ohne Bühnenbild? Blinde Menschen machen diese Erfahrung beim Opernbesuch immer wieder. Um das Kulturerlebnis inklusiver zu gestalten, bietet das Augsburger Staatstheater sowohl Audiodeskriptionen als auch Tasteinführungen an. Hier können sehbehinderte Menschen vorab die Kulissen begehen und die Ausstattung berühren.
Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr
Es ist ruhig, dunkle Metallrahmen ziehen sich quer über die Bühne. Außerdem: ein Glaskasten, ein Kinderfahrrad, ein Haufen mit Ziegelsteinen, dahinter der Flügel des Orchesters. Bei der Tasteinführung zur Mono-Oper "Tagebuch der Anne Frank" bekommen Gäste mit Sehbeeinträchtigung einen unmittelbaren Eindruck vom Bühnenbild, indem die Reihenfolge beschrieben wird, in der die Gegenstände verwendet werden oder auf der Bühne auftauchen. Auch Schrift wird vorgelesen, sofern sie auf Stoffen oder Schildern auf der Bühne zu finden ist.
Olena Sloia liegt in der Rolle der Anne Frank auf einem Schutthaufen. | Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr Der leitende Regisseur des Staatstheaters, David Ortmann, beschreibt bei der Einführung auch den Zuschauerraum: "Es ist zwar ein großer, gleichmäßiger Raum, es sieht also nicht so aus wie ein altes Barocktheater, sondern man hat eigentlich von allen Sitzen gute Sicht". Er führt die Besucherinnen und Besucher durch die Kulissen. Drei blinde Menschen sind heute zu Gast und dürfen die Ausstattung berühren. Christian Seuss ist einer von ihnen und beschreibt den krassen Unterschied, den die Tasteinführung macht: "Dass man sich zum Beispiel den Schuttberg tatsächlich vorstellen kann, wie der sich so anfühlt mit den Händen, das ist was ganz anderes als die reine Beschreibung".
Neben der Tasteinführung haben die blinden Theaterfans auch noch Kopfhörer erhalten und bekommen so die Beschreibung dessen, was auf der Bühne passiert, direkt aufs Ohr. So können sie besser einordnen, was geschieht, und wo die einzelnen Personen und Gegenstände auf der Bühne stehen. Dafür sitzt Sprecherin und Autorin Karola Schweinbeck bereit und spricht live das ein, was auf der Bühne passiert. Das Publikum ist fasziniert und findet, dass die Audiodeskription absolut notwendig ist. Wer sehbehindert ist, bekommt so viel mehr mit vom Geschehen und kann die gebotene Leistung von Orchester und Darstellenden dadurch mehr genießen.
Am Staatstheater Augsburg steht am 7. Januar 2024 Eugen Onegin mit Audiodeskription auf dem Programm. Eine Übersicht der inklusiven Angebote finden Sie hier.
Bildquelle: Jan-Pieter Fuhr Die Mono-Oper von Grigori Frid zum Tagebuch von Anne Frank verlangt dem Orchester und der Sopranistin Olena Sloia einiges ab. Das findet aber auch hohen Anklang und Bewunderung beim Publikum. Musik und Text verdeutlichen, was die kleine Anne Frank in ihrem Versteck durchmacht: "Ich bekomme so eine heftige Sehnsucht danach, auch mal wieder Spaß zu haben und zu lachen, bis ich Bauchweh habe. Ich sehne mich so nach radfahren, tanzen, pfeifen, die Welt sehen, mich jung, fühlen, wissen, dass ich frei bin. Danach sehne ich mich!"
Regisseur David Ortmann freut sich über das Lob der blinden Theatergäste, bittet aber auch um kritisches Feedback, denn er glaubt, dass die "Theater viel zu lange gedacht haben: Wir haben irgendwie zwei Lücken für die Rollstühle, und das reicht irgendwie. Und das ist es eben nicht so." Er braucht die Rückmeldung, um zu wissen, woran es im Detail bisher gescheitert ist. So kann er besser auf die Wünsche der Theatercommunity eingehen. Ein Beispiel dafür ist eben die Tasteinführung, da "der Wunsch aus dieser Gemeinschaft ist, noch mehr zu betasten, noch näher ranzugehen".
Als nächstes großes Stück soll unter anderem das Musical "Sister Act" auf der Freilichtbühne inklusiv erlebbar sein. Der Wunsch, das inklusiver zu gestalten, ist groß. Denn da gehen tausende Menschen jeden Sommer hin und Menschen mit Behinderung möchten ein Teil von sein. David Ortmann erzählt, dass mehrere Leute auf ihn zugekommen sind und meinten: "Wir möchten mit unseren nichtbehinderten Nachbarinnen und Nachbarn darüber sprechen, ob das toll war, ob das bunt war, ob das lustig war." Und dafür müsse man solche Events eben für alle zugänglich und ihrer Gänze erfahrbar machen.
Die Nächste Tasteinführung im Staatstheater Augsburg ist am Sonntag, den 07.01.2024, bei "Eugen Onegin".
Sendung: "Allegro" am 4. Januar 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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