Der Heldentenor Stephen Gould ist ein Langstreckenläufer. Bis er die Partie des Tristan in- und auswendig konnte, hat es zweieinhalb Jahre an täglicher Arbeit benötigt. Jetzt gibt er die Rolle wieder einmal bei den Bayreuther Festspielen. Für ihn ist Wagner keine Oper, sondern pure Meditation.
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BR-KLASSIK: Stephen Gould, Sie haben in diesem Jahr drei Rollen in Bayreuth. Kommen Sie noch zum Schlafen?
Stephen Gould: Gott sei Dank bin ich auf alle diese Partien ziemlich gut vorbereitet. Trotzdem ist es immer eine große Herausforderung, solche Stücke gleichzeitig zu singen.
BR-KLASSIK: Aber die Probenphase war wahrscheinlich extrem eng getaktet. Auf jedem Probenzettel steht wahrscheinlich irgendwo Gould, Gould, Gould?!
Stephen Gould: Absolut. Wir sind immer noch in dieser Wechselzeit zwischen Pandemie und: wie bekommen wir alle Sänger, Chor, Orchester oder Mitarbeiter in einer Probe wieder zusammen, die dann auch wirklich funktioniert? Es ist schwierig. Wir haben dieses Jahr weniger Probenzeit gehabt als normal – vor allem für den Ring. Normalerweise fangen wir im Mai an.
Jedes Mal entdecke ich etwas Neues, das ich dann in ein anderes Wagner-Stück einbringen kann.
BR-KLASSIK: Sie sind jetzt 60 Jahre alt, fast 61. Sie singen drei doch recht forsche junge Springinsfelde, manche eher traurig, manche sehr mutig, den Tristan, den Tannhäuser und den Siegfried in der "Götterdämmerung". Wie halten Sie sich da körperlich fit? Das ist ja eine enorme konditionelle Anstrengung.
Bildquelle: picture-alliance/dpa Stephen Gould: Die Kondition meiner Stimme ist ziemlich gut. Aber das Problem ist trotzdem, diese jungen Helden auf der Bühne zu spielen. Ich warte auf zwei künstliche Knie, und es ist ein bisschen anstrengend. Aber die Partie selbst zu singen, ist nicht das Problem. Singen kann ich den jungen Siegfried immer noch. Aber wenn es ums Spielen geht, muss ich das an meine jungen Kollegen abgeben. Was schön ist an all diesen Partien: der Tannhäuser zum Beispiel ist ziemlich lyrisch für einen Heldentenor. Dann gehe ich zu Tristan mit dem langen Bogen in der Partie. Das macht wiederum meinen Tannhäuser besser. Also solange ich genug Zeit zwischen den Vorstellungen habe, hilft das Repertoire für das nächste Stück.
BR-KLASSIK: Die eine Rolle nährt die andere, und die nährt wiederum die andere?
Stephen Gould: Genau. Zum Beispiel habe ich sehr wenig italienisches Repertoire. Aber immer wenn ich Othello gesungen habe und ich dann zum Tannhäuser zurückkomme, kann ich auf diese italienische Qualität auch im Tannhäuser zurückgreifen. Jedes Mal entdecke ich etwas Neues, das ich dann in ein anderes Wagner-Stück einbringen kann.
BR-KLASSIK: Kommen wir noch mal zum "Tristan", zweiter Akt. Da rücken Sie Isolde ja ziemlich nah, und Isolde schwingt sich hoch zum hohen C. Wieviel Abstand dürfen Sie da haben? Wie viel Abstand brauchen Sie?
Stephen Gould: Naja, das hängt von der Sopranistin ab. Als Heldentenor habe ich gelernt: Ich mache, was meine Sopranistin macht. Aber im Prinzip ist es ein Liebesduett – ich versuche einfach, nicht direkt in ihr Ohr zu singen.
BR-KLASSIK: Und andersrum genauso.
Stephen Gould: Ja, genau. Wir singen direkt raus und nicht zueinander, dann ist es nicht so schlimm.
Wagner ist Meditation, ein Mantra.
BR-KLASSIK: Wie ist es, wenn Sie jetzt nachts aufgeweckt werden und irgendjemand flüstert Ihnen eine Textstelle ins Ohr. Könnten Sie auf der Stelle sagen, dass das jetzt aus dem "Tristan" oder dem "Tannhäuser" oder was auch immer war?
Bildquelle: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath Stephen Gould: Als ich den ganzen Ring studiert habe, war das ein Problem. Einmal war ich hier in Bayreuth und habe beide Siegfrieds studiert. In der Nacht bin ich aufgestanden und ein bestimmter Text ging durch meinen Kopf. Und ich hab mich gefragt: Wo ist das? Ich mache bestimmt einen Fehler dort. Ich bin durch die ganze Partitur der "Götterdämmerung" und des "Siegfried" gegangen und dann habe ich realisiert: Es ist die Walküre mit Sigmund. Und ich muss das nicht singen. Ich war ein bisschen verrückt in dieser Zeit. Aber jetzt, wo ich die Partie so oft gesungen habe, habe ich keinen Albtraum mehr.
BR-KLASSIK: Also Sie haben das wirklich so alles drauf – den kompletten Text?!
Stephen Gould: Wenn Sie die Partie wirklich lernen, dauert das. Ich habe täglich gearbeitet, nicht nur von Zeit zu Zeit. Zweieinhalb Jahre mit einem richtig guten Coach. Es ging um Musik und den Text, und das war wirklich schwierig. Alles kommt in deinen Kopf und in deinen Körper. Wenn beides nicht zusammen kommt, dann kannst du dieses Stück nicht auf die Bühne bringen. Es wird deine Stimme in zehn Minuten ruinieren. Du musst wirklich so konzentriert sein. Bei "Siegfried" gibt es so viel Text. Der Tannhäuser war ein bisschen einfacher. Das war meine erste Partie und das bleibt immer. Ich singe Tannhäuser seit 21 Jahren. Ich glaube, wenn ich sterbe, dann sind die letzten Gedanken in meinem Kopf ein bisschen Text von "Tristan". Ich hoffe es zumindest.
BR-KLASSIK: Sie haben dann schon ein sehr spezielles Verhältnis zu Zeit, weil alles, was Sie tun in Ihrem Beruf oder auch in Ihrer Berufung als Künstler, enorm viel Zeit braucht. Also, Sie können nicht einfach sagen: Oh, ich mache mal kurz noch das – Sie sind kein Sprinter.
Stephen Gould: Ein Sprinter bin ich nicht. Eher ein Langstreckenläufer. Es ist schade, dass in unserer Welt mit Tik-Tok alles in kürzester Zeit passieren muss. Wagner ist keine Oper, ist kein Entertainment. Es ist eine Meditation, ein Mantra. Und jede Person, Sänger, Orchester, das Publikum – alle bringen etwas mit, und alle müssen etwas für sich selbst entdecken.
Kommentare (2)
Sonntag, 31.Juli, 11:44 Uhr
piepmail@web.de
"Respekt"!
"Durch und durch Opernsänger"!
...Respekt, und das.s in diesem Alter... !
Dienstag, 26.Juli, 08:36 Uhr
Christine Liebold
Stephen Gould
"Der BARITON Stephen Gould..." ???
Ein Monster-Programm - wer hätte sich das früher zugetraut und aufgebürdet??? Höchstens Windgassen, glaube ich. Ich wünsche dem sympatischen Sänger viel Glück und Stehvermögen. Der Premieren-Tristan war schon mal bravourös - Gratulation!