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Kritik – Musical "Tootsie" in München Der bessere Mann war eine Frau

Dustin Hoffman landete mit der Hauptrolle im Folm "Tootsie" 1982 einen Riesen-Hit und triumphierte mit einer rückblickend hellsichtigen Satire über die Schauspielerei und übergriffige Machos. Das Münchner Gärtnerplatztheater präsentierte nun die Europäische Erstaufführung der Musicalfassung. Die umjubelte Premiere fand am 7. Juli statt. Fazit: "Tootsie" funktioniert auch auf der Bühne großartig.

Musical "Tootsie" am Münchner Gärtnerplatztheater – Szenenfoto | Bildquelle: Jean-Marc Turmes/Gärtnerplatztheater

Bildquelle: Jean-Marc Turmes/Gärtnerplatztheater

Natürlich ist das eine Fabel, oder gibt es wirklich Schauspieler, die dauernd den Geldgebern, Regisseuren und Autoren reinreden und ihre Rollen eigenmächtig umschreiben, umdeuten und erweitern, wenn nötig direkt am Set? Darsteller haben in Wirklichkeit höchst selten mitzureden bei ihren Auftritten, abgesehen von (Super-)Stars, und Idealisten, die für ihren Beruf so sehr brennen, dass sie lieber kellnern gehen, bevor sie sich gegen Gage verbiegen – und die dürften gerade im teuren New York dünn gesät sein.

Skeptischer Sydney Pollack ließ sich überzeugen

"Tootsie" war ein Film über Glanz und Elend der Schauspielerei. Dustin Hoffman bekam dafür eine Oscar-Nominierung, Jessica Lange durfte sich als Nebendarstellerin dann tatsächlich über die Trophäe freuen. Hoffmann soll laut Programmheft über den Erfolgsfilm von 1982 gesagt haben: Es ist die Geschichte eines Mannes, der zu einem besseren Mann wird, weil er eine Frau war. Das überzeugte den zunächst skeptischen Regisseur Sydney Pollack. Und nebenbei war es eine Satire auf übergriffige Macho-Kerle und renditeorientierte Produzenten im damals wie heute umkämpften Fernsehgeschäft.

Eine Bühnenfassung ganz nah an der Filmvorlage

Musical "Tootsie" am Münchner Gärtnerplatztheater – Szenenfoto | Bildquelle: Jean-Marc Turmes/Gärtnerplatztheater Musical "Tootsie" am Münchner Gärtnerplatztheater – Szenenfoto | Bildquelle: Jean-Marc Turmes/Gärtnerplatztheater Geht das alles in einen dreistündigen Musical-Abend? Ja! Der Autor Robert Horn hat es wirklich geschafft, in seiner Bühnenfassung einerseits ganz nah an der Filmvorlage zu bleiben und den Stoff doch passend zu machen fürs Theater. Deshalb ist die titelgebende "Tootsie" auch keine TV-Serienheldin, sondern die Amme in einer modernisierten Version von "Romeo und Julia". Zurecht bekam das Buch nach der Broadway-Uraufführung vor drei Jahren einen Tony-Award. Und wenn es so großartig inszeniert wird wie von Gil Mehmert bei der Europäischen Erstaufführung am Münchner Gärtnerplatztheater, dann gehen die stehenden Ovationen allemal in Ordnung.

Von der Musik bleibt wenig hängen

Die Musik allerdings, die ist nicht gerade einfallsreich: Komponist David Yazbek kann es mit dem Kollegen, der die Filmmusik geschrieben hat, nämlich Dave Grusin, leider nicht aufnehmen. Hängen bleibt wenig, und die Instrumentation schwankt zwischen streicherseligem Operettenglück und ein paar mäßig originellen Bekenntnissongs. Schade, denn alles andere an diesem Abend ist von mitreißender Energie.

Lässig herumhängender Möchtegern-Theaterautor

Musical "Tootsie" am Münchner Gärtnerplatztheater – Szenenfoto | Bildquelle: Jean-Marc Turmes/Gärtnerplatztheater Musical "Tootsie" am Münchner Gärtnerplatztheater – Szenenfoto | Bildquelle: Jean-Marc Turmes/Gärtnerplatztheater Das gilt nicht nur für Armin Kahl in der Titelrolle des Michael Dorsey, der vorübergehend zu Dorothy Michaels wird, auch der übrige Cast war fulminant: Daniel Gutmann als gut trainierter, aber etwas hohler Liebhaber Max Van Horn räumte mächtig ab, ebenso wie Julia Sturzlbaum als dauerneurotische Schauspielerkollegin Sandy Lester. Da störte der österreichisch-wienerische Einschlag von beiden überhaupt nicht, ganz im Gegenteil, es machte sie erst recht liebenswert! Und auch Gunnar Frietsch als lässig herumhängender Möchtegern-Theaterautor und Barkeeper Jeff Slater war jede Sekunde glaubwürdig und mit seinem anarchischen Charme bühnenfüllend. Das galt auch für Alexander Franzen als arroganter Regie-Gott Ron Carlisle. Verglichen mit diesen höchst unterhaltsamen Mega-Egos hatte es Bettina Mönch als eher sentimentale Julie Nichols schwer.

Ein paar zeitgemäße Aktualisierungen

Prima, was Regisseur Gil Mehmert, ein absoluter Musical-Profi, der an der Folkwang-Uni in Essen lehrt, aus seinen Darstellern rausgeholt hat. Hier und da gab es ein paar zeitgemäße Aktualisierungen, schließlich ist seit 1982 doch einiges passiert, aber als Beitrag zur Genderdebatte unserer Gegenwart eignet sich "Tootsie" nicht. Muss auch nicht sein, die wenigen Verweise reichten völlig aus, die Story nicht altbacken wirken zu lassen.

Die Tanzeinlagen hängen etwas in der Luft

Lob gebührt auch den Bühnenbildnern Karl Fehringer und Judith Leikauf, die eine imposante Stadtlandschaft auf die Drehbühne gewuchtet hatten, um die vielen schnellen Szenenwechsel zu ermöglichen. Die Tanzeinlagen, die Adam Cooper choreographierte, hängen bei "Tootsie" dramaturgisch etwas in der Luft, der Film kommt ja bekanntlich ohne Ballett aus, insofern trägt das Tanzensemble nichts zum Fortgang der Handlung bei, sondern bremst sie eher. Das hatte dann mehr Revue-Charakter.

Gags auf den Punkt serviert

Herzhaft gelacht wurde reichlich, was in einer Filmkomödie selbstverständlich, im Theater aber inzwischen selten geworden ist. Gags auf den Punkt zu servieren, das können wenige. Trockene Bemerkungen zu machen, die mal sofort, mal mit Verzögerung zünden, ist viel schwerer, als Trauer zu tragen und die Luft mit Pathos zu schwängern. Und weil Dirigent Andreas Partilla alles bestens im Griff hatte und keine Hänger duldete, war die Begeisterung am Ende riesengroß. Das will was heißen, denn "Tootsie" ist eben gerade keine Drag-Queen-Show wie "Priscilla", die Königin der Wüste oder ein Klamauk wie "Charleys Tante". Es ist die Geschichte eines heterosexuellen Mannes, der auf einem Umweg zu sich selbst findet – und wir dürfen dabei sein. Bravo!

Mehr Infos

Informationen über Termine und Besetzung erhalten Sie auf der Homepage des Gärtnerplatztheaters.

Sendung: "Allegro" am 8. Juli 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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