Vor 81 Jahren haben Nationalsozialisten im litauischen Kaunas fast 1.000 Münchner Jüdinnen und Juden ermordet. Wie lässt sich heute an dieses Verbrechen erinnern? Ein Bühnenprojekt in München findet einen ganz eigenen Weg. "Bringing them Back" – so heißt es und verbindet künstlerische Beiträge von Jugendlichen mit der Uraufführung eines sinfonischen Stücks.
Bildquelle: ©Elsa Hinrichs
"Sie wollten dieses Blutbad beenden, worauf hunderte Menschen zusammen kämpfen. Sie riskierten allesamt ihre Leben und viele konnten wegen der Folgen ihre Geliebten nicht mehr sehen." Während der 17-Jährige Eloy Cicic rappt, fallen ihm kinnlange schwarze Haarsträhnen ins Gesicht. Sein Gesichtsausdruck – sehr ernst. "Es gibt sicher auch andere Varianten, wenn du das etwa in normaler Gedichtform erzählt", sagt er. "Aber in meinen Augen war das das, was ich am besten konnte. Und deswegen hab ich mich für einen Rap entschieden."
Auf dem weißen Shirt des jungen Mannes ist eine blutrote Rose zu sehen, daneben klafft der Schriftzug "Bringing them Back", also "wir bringen sie zurück". Dasselbe Shirt tragen auch die anderen Jugendlichen, die bei diesem Projekt mitmachen und Erinnerungen zurückbringen – auf ganz unterschiedliche Weise. Manche der Jugendlichen haben ein Video geschnitten, die 14-jährige Daria Synek hat ein Gedicht geschrieben: "Erdrückende Angst, die die Stille beschreit. Angespannt lauschende Ohren, bis der Ton eines tollkühnen Schrittes im Gang verhallt. Nur Nummern, von ihren Namen befreit."
In Musik wiederum drückt sich der Komponist Münir N. Beken aus Los Angeles aus. "Memorias Liminal" heißt sein Stück in drei Sätzen. Er hat es speziell für dieses Bühnenprojekt geschrieben, das von kairosis organisiert wird und von Jews Engaged With Society – einer Organisation, die sich für den Schutz der jüdischen Minderheit in Europa einsetzt. Auf die Bühne bringt es die Bayerische Kammerphilharmonie. "Das Stück zeichnet eine musikalische Landschaft, in der große Anspannung und Stress herscht", erklärt der Komponist. "Trotzdem gibt es zwischendrin kleine Inseln. Unzeitliche Räume, in denen Freiheit herrscht, in denen Menschen singen können."
Die ukrainische Sängerin Jaroslava Kurokhtina schlägt mit ihrem abrupt unterbrochenen Gesang den Bogen zur Gegenwart. | Bildquelle: Elsa Hinrichs Im zweiten Satz singt auch wirklich jemand: die ukrainische Musikerin Jaroslava Kurokhtina. Die junge Frau begleitet sich dabei auf der Bandura, einem traditionell ukrainischen Saiteninstrument. Dann wird sie brutal unterbrochen. Damit schlägt der Komponist einen harten Bogen in die Gegenwart. "Wir alle sind sehr besorgt über die derzeitige Situation", sagt er. "Aber alles, was ich als Künstler tun kann, ist, musikalisch über die furchtbaren Dinge zu reflektieren, die gerade passieren."
Die vielen künstlerischen Fäden verweben sich an diesem Abend zu einem großen, vielfarbigen Netz kollektiver Erinnerung – intensiv und so engmaschig gestrickt, dass die Schatten der Vergangenheit sich nicht daran vorbeischleichen können. Gewissermaßen gezwungen sind zu bleiben.
Sendung: "Leporello" am 25. November 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (0)