Er ist der beliebteste der vier Ring-Teile. Richard Wagners "Walküre" hatte vor ausverkauftem Haus Premiere, mit Christian Thielemann am Pult. Kritikerin Maria Ossowski ist begeistert, aber auch sauer.
Bildquelle: Monika Rittershaus/Staatsoper Berlin
Weltklasse. Meisterleistung. Sternstunde: das sind Floskeln, die ein Opernereignis schlecht beschreiben. Besser treffen hier: Wagemut, Seelenarbeit und eine fast schmerzende Sorgfalt sowohl der Regie von Dimitri Tscherniakow als auch des Dirigats von Christian Thielemann.
Wie schon im Rheingold treffen sich sämtliche Ringgestalten in einem Forschungslabor. Götter gibts bei Tscherniakow nicht, wir erleben einen psychoanalytisch und intellektuell sezierten menschlichen Weltinnenraum ohne Bildgewalt, dafür umso präziser in der Personenregie. Wotan, sichtlich gealtert, führt den Laden. Die Walküren gehören ebenfalls zum Laborpersonal. Die schockverliebten Zwillinge Siegmund und Sieglinde sind Versuchsobjekte, Wotan beobachtet sie hinter einer Spiegelwand, nur: dumm gelaufen für den Chef: die beiden geraten in ihrer Leidenschaft außer Kontrolle und das Unglück nimmt seinen Lauf. Die Wintersturm-Wonnemond- Amourfou im ersten Aufzug gehört zum Schönsten der gesamten Opernliteratur. Und der Wälseschrei zum Schwierigsten, was Tenöre zu bewältigen haben.
"Die Walküre" an der Staatsoper Unter den Linden, wieder am 16. und 30. Oktober (dann mit Thielemann), sowie am 5. April 2023.
Familienkrach: Siegmund, Sieglinde, Hunding (Mika Kares) | Bildquelle: Monika Rittershaus/Staatsoper Berlin Robert Watson und Vida Mikneviciute sind die unglücklich Liebenden. Die zierliche Litauerin hat eine unglaublich starke Stimme, der amerikanische Tenor eine schöne, jedoch sehr viel leisere. Sie muss bestehen gegen einen einzigartig präsenten, glanzvollen Wotan von Michael Volle und eine hinreißend warme, überzeugende Stimme von Anja Kampe als Brünnhilde.
Im Hörsaal des Instituts kommt es zum Showdown zwischen Vater und Tochter. Da lodert keine Lohe auf, wenn Wotan Brünnhilde in den Feuerkreis verdammt. Sie malt kleine Flammen mit Filzstift auf die Stuhllehnen. Das reicht, denn beim Lebewohl laufen, Michael Volle sei Dank dennoch die Tränen.
Christian Thielemann dirigiert wieder zur jubelnden Freude des Publikums, offensichtlich auch der Staatskapelle und der Sängerinnen und Sänger. Betont langsam, aber voller Spannung. Das letzte Bild, eine einsame Brünnhilde im grellen Scheinwerferlicht und eine ins Dunkel des Bühnenhintergrunds fahrende Forschungsstation mit dem ebenfalls einsamen Wotan brennt sich ein. In den Jubel jedoch mischt sich auch gewaltiger Ärger. Eine scheußliche Ungezogenheit, feige und gemein, greift mittlerweile auch im Opernpublikum um sich.
Es ist wie im Internet. Aus dem Dunkel heraus, aus der Anonymität einfach jemanden fertig machen. So geschehen an der Staatsoper zum zweiten Mal. Beim "Rheingold" musste Rolando Villazon einen Buhsturm als Loge einstecken, bei der Walküre Robert Watson als Siegmund. Leute, wenn Euch ein Sänger nicht gefällt, und hier singen alle auf höchstem Niveau, dann reicht es, die Hände ruhen zu lassen. Buhs zu brüllen zeugt von mangelnder Contenance. Und nach einem solchen Abend, Achtung! Klischee! Sternstunde!, sollten Buhs mit Hausverbot belegt werden.
Sendung: "Allegro" am 04. Oktober ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (9)
Donnerstag, 06.Oktober, 16:50 Uhr
Wolfgang
Differenzierungen
Ich will nicht leugnen, dass man auch das Buhen übertreiben kann, und in Mailand oder New York sollen sich ja teilweise mafiöse Strukturen ausgebildet haben ("Claque"), welche vor dem Hintergrund der etablierten Buhtradition ihr eigenes Erpressungssüppchen kochen.
Trotzdem ist das Buhen eine legitime Meinungsäußerung, welche zur Aufrechterhaltung künstlerischer Standards benötigt wird.
Und unter dem Stichwort "Regietheater" haben sich dadaistische Anti-Künstler in die Oper eingeschlichen, welche wohl kaum den Respekt ihrer "künstlerischen Leistung" einfordern können, den sie gegenüber den Werken und dem Publikum vermissen lassen.
Das Ausbuhen von Sängern ist hingegen ein zweischneidiges Schwert. Mir ist es mitunter auch zu brutal. Aber Jubel und Buhen sind wohl zwei Seiten derselben Medaille. Und man kann nicht alle Brutalität des Lebns abfedern, wenn man nicht alle Vitalität zerstören will.
Mittwoch, 05.Oktober, 23:14 Uhr
Friedrich
Buhs
Wenn Buhs eine Operntradition sind, dann ist es eben eine schlechte. Der Respekt vor den Künslern sollte immer der Maßstab sein. Mal abgesehen von den loggionisti der Mailänder Scala und leider auch vielen Buh-Schreiern in Bayreuth herrscht an anderen Orten, wie der Münchner Oper oder den Salzburger Festspielen, durchaus eine gesittete Kultur von Beifall und Missfallen. Die meisten der ungezogenen Buh-Schreier brächten selbst nicht einmal in der heimischen Badewanne einen vernünftigen Ton heraus.
Mittwoch, 05.Oktober, 06:21 Uhr
Luchino Visconti
Das ist Operntradition!
Mich wundert, dass die Autorin meint, das Buhen greife "mittlerweile auch im Opernpublikum um sich". In Opernhäusern wird nämlich schon seit Jahrzehnten, womöglich sogar Jahrhunderten gebuht oder sonstwie Missfallen bekundet, wenn Sänger oder Dirigenten nicht gefielen oder schlecht waren. Egal ob in Mailand (besonders berüchtigt), Wien oder Paris: die Größten waren davon ebenso betroffen wie die Mittelmäßigen, Männer wie Frauen, alle mussten da durch. Der legendäre Franco Corelli ist vor lauter Wut einmal in den Zuschauerraum gelaufen, um jemanden zur Rede zu stellen. War das in Berlin bisher anders, wurden dort kein krächzender Tenor und keine kicksende Königin der Nacht jemals mit Buhs bedacht, womöglich noch während der laufenden Vorstellung? Hausverbote für Buhrufer würden jedenfalls an allen von mir erwähnten großen Opernhäusern mit ziemlicher Skepsis betrachtet werden. Oper lebt von Emotionen aller Art. Wenn nur Jubel will, soll einen Parteitag oder ein Schlagerkonzert besuchen.
Dienstag, 04.Oktober, 23:52 Uhr
Michael
Viel leisere Stimme
Buuhs sind ein Kommentar verfehlter Leistung. Siegmud sollte keine leise Stimme haben. Die Oper muss für eine angemessene Besetzung sorgen.
Dienstag, 04.Oktober, 12:39 Uhr
Ragnar Danneskjoeld
Liebe Frau Ossowski,
nicht, dass ich gebuht hätte, aber der Vorwurf der Anonymität grenzt dann doch ans Absurde. Soll derjenige rufen: "Ich, Max Mustermann, fand Sie, Herr Watson zu leise"? Na also.
Der Buh-Ruf ist Teil der Opern(un-)kultur, ob Sie das nun wollen oder nicht. Wer in Bravorufen badet, muss auch mal ein Buh abkönnen. Ausgleichende Gerechtigkeit. Da müssen Sie sich nicht auch noch als Kulturgouvernante aufführen.
Es grüßt freundlich aus der Anonymität des Internets,
Ragnar Danneskjoeld
Dienstag, 04.Oktober, 11:43 Uhr
Johann
Buhs
Buhs gehören zu den Ausdrucksformen des Publikums genauso wie Bravorufe oder frenetischer Applaus. Wie sollen unzufriedene Besucherinnen und Besucher sonst ihr Missfallen äußern? Nicht-Klatschen bemerkt ja niemand. Teure Karten kaufen und danach möglichst still halten kann nun wirklich keine Lösung sein.
Dienstag, 04.Oktober, 11:18 Uhr
ein Hörer
Kritik
Im Rahmen dieser Kritik wäre es für den Hörer sicher interessant, zu erfahren, dass der komplette Ring von rbbKultur live im Radio übertragen wird. Mich wundert es regelmäßig, dass solche Querverweise nicht stattfinden - gerade im ARD-Sendeverbund.
Dienstag, 04.Oktober, 11:14 Uhr
Alexander Störzel
Kritik "Walküre" in Berlin
Verehrte Frau Ossowski, mit dieser Forderung greifen Sie in das Recht der Meinungsfreiheit ein.
Wie jemand zu Buhgeschrei steht ist eine andere Frage.
Meist gilt der heftige Protest ja der Regie oder dem Bühnenbild.
Unzählige Diskussionen wurden und werden zum Thema Regietheater geführt.
Wer auf der Bühne sehr viel wagt darf sich hinterher nicht wundern wenn diese Sichtweise nicht uneingeschränkt goutiert wrid und es Protest gibt.
Wie war es denn diesen Sommer in Bayreuth - ist doch nichts Neues.
Was Sänger*innen betrrifft, so könnten Buhrufe von den Protagonisten auch als Mahnung verstanden werden, dass eine bestimmte Partie für die betreffende Person evtl nicht geeignet sei. Und ja, auch ich bin an dieser Unsitte manchmal nicht unbeteiligt.
Dienstag, 04.Oktober, 11:13 Uhr
Wolfgang
Konzertierte Aktion
Verstehe nicht, warum diese Kritikerin so auf dem Buhen, was durchaus auch als legitime Meinungsäußerung zum Zwecke der Aufrechterhaltung gewisser künstlerischer Standards verstanden werden kann, herumreitet.
Erinnert mich fatal daran, dass letztes Jahr auch plötzlich das politische Demonstrieren tabu sein sollte.
Auch dass das Buhen von der Kritikerin mit der Zensur von Meinungsäußerungen wegen "Hass" (ein undefinierbarer Begriff) in Verbindung gebracht wird, stößt sauer auf.
Man hat den Eindruck, dass die Journalisten den Menschen in eine gebrochene Kreatur verwandeln wollen, die sich alles bieten lässt.
Übrigens finde ich Ossowkis Kritiken nach journalistichen Standards schlecht. Bin ich deshalb ein böser "Hassender", der im Schutze der Anonymität seinen finsteren Trieben Audruck verleiht?