Eine der großen Trompetenstimmen des Jazz ist für immer verstummt. Wallace Roney starb mit 59 Jahren an den Folgen seiner Coronavirus-Erkrankung.
Bildquelle: Ssirus W. Pakzad
Im Juli 1991 unternahm der große Miles Davis während des Montreux Jazz Festivals eine Tour in seine eigene musikalische Vergangenheit: Mit dem Reiseleiter Quincy Jones machte er zweieinhalb Monate vor seinem Tod Station bei Alben wie "Birth of the Cool", "Miles Ahead", "Porgy and Bess" oder "Sketches of Spain". Das Konzert war jedoch mehr als eine sentimentale Rückbesinnung auf glorreiche Zeiten in der eigenen Vita. Es war, wenn man so will, der Punkt, an dem der Jazz-König seine Insignien, an dem er das Zepter und die Krone übergab – an einen jungen Trompeter aus Philadelphia, der fast alle solistischen Teile des Auftritts übernahm: Wallace Roney.
Nun ist der 59-Jährige am 31. März an den Folgen einer Corona-Erkrankung im St. Joseph´s University Medical Center in Paterson, New Jersey gestorben. Damit ist er nach Manu Dibango das zweite prominente Opfer aus der Jazzwelt, das die Seuche bislang gefordert hat. Die Bestürzung unter Roneys Kollegen ist groß. Alle, die sich in den sozialen Medien äußerten, betonen nicht nur Wallace Roneys Einfluss auf die Szene, heben nicht nur sein grandioses Spiel hervor, sondern erinnern sich an seine Menschlichkeit, an einen extrem hilfsbereiten, gütigen Mann, an einen Mentor von Format.
Ruhe in Frieden, großer Bruder.
Der Bassist Christian McBride verdankt Wallace Roney seine erste Aufnahme ("Obsession" von 1990) und viel Unterstützung, als er noch an der Juilliard School studierte. Oft habe er ihn zu sich nach Hause eingeladen und ihm dann nach lehrreichen gemeinsamen Sessions einen Zwanziger zugesteckt, "weil ich weiß, dass du noch am College bist und kein Geld hast." McBride verabschiedet sich auf Instagram von "einem der besten Musiker, die je gelebt haben. Ruhe in Frieden, großer Bruder." Der Altsaxofonist Greg Osby rief dem Trompeter Folgendes nach: "Wieder ist ein Kämpfer gefallen, der glücklicherweise lang genug unter uns weilte, um uns mit seinem unbeugsamen Geist, mit seinen Überzeugungen zu inspirieren."
Im Rahmen meiner journalistischen Tätigkeit durfte ich Wallace Roney einmal zuhause in Harlem besuchen und war ziemlich erstaunt, wie bescheiden dieser von vielen bewunderte Mann war. Auf mich machte er einen scheuen, introvertierten Eindruck. Er war keiner, der sich etwas auf seine Erfolge einbildete, sondern ein Künstler, der verinnerlicht hatte, dass man auf ewig ein Schüler, ein Suchender bleibt, dass das Leben ein endloser Lernprozess ist.
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Wallace Roney with Miles Davis Tribute Band
Wallace Roney kam am 25. Mai 1960 in Philadelphia zur Welt, einer Stadt, die viele Jazzmusiker von Bedeutung hervorbrachte. Bereits als Vierjähriger begann der Sohn eines Amateurschlagzeugers Trompete zu spielen. An der "Duke Ellington High School for the Performing Arts" durchlief er eine musikalische Grundausbildung, ehe er an der "Berklee School of Music" und an der Howard University studierte. Er war noch keine zwanzig, als der Pianist Abdullah Ibrahim ihn engagierte und kurz darauf rief Art Blakey Wallace Roney an, um ihn zum Botschafter seiner "Jazz Messengers" zu ernennen.
Die dann folgenden Kapitel der Wallace Roney-Vita lesen sich wie ein Jazzlexikon: Er hat mit McCoy Tyner, Tony Williams, Elvin Jones, Sonny Rollins, Dizzy Gillespie, Ornette Coleman, Cedar Walton, Randy Weston, Jay McShann und mit seiner späteren Frau, der Pianistin Geri Allen, gespielt und ab 1987 eine Vielzahl prominent besetzter eigener Alben veröffentlicht.
Wallace Roney war von Miles Davis beeinflusst, von Clifford Brown, Woody Shaw, Kenny Dorham. Doch wie alle großen Musiker nutzte er diese Quellen der Inspiration, um seine eigene Klangsprache, seine eigenen Formulierungen, seine eigenen Akzentuierungen zu finden und dann zu kultivieren und auszubauen. Das zeigte sich etwa, als Wallace Roney 1994 mit dem Saxofonisten Wayne Shorter, dem Pianisten Herbie Hancock, dem Bassisten Ron Carter und dem Schlagzeuger Tony Williams – den verbliebenen Mitgliedern des zweiten klassischen Miles Davis Quintetts also – "A Tribute to Miles" (Qwest/ Reprise) veröffentlichte. Natürlich war da zu hören, was das große Vorbild bei Roney ausgelöst hatte – und doch war keinerlei Epigonentum wahrzunehmen. Wallace Roney, der von Davis einst sogar ein Instrument geschenkt bekam, hatte sich längst frei gespielt.
Bildquelle: ©picture alliance/TT NEWS AGENCY Trotz aller unbestrittenen Meriten waren nicht alle Kritiker Wallace Roney wohl gesonnen. Manch einer bemängelte, dass sich der Trompeter zu sehr am Jazz der 60er Jahre orientiere, dass zu wenige neue Impulse von ihm ausgingen. So heißt es im "Reclam Jazzlexikon" etwa: "Roney ist gut in der Rolle des Nachlassverwalters, als Leader in eigener Sache vermag er nur begrenzt zu überzeugen." Diese Einschätzung wird unter Musikerkollegen des Wallace Roney nicht unbedingt geteilt. Der gefeierte Trompeter Keyon Harrold schreibt: "Heute haben wir einen König der Trompete verloren, einen Meister, Lehrer, ein Genie, einen großen Bruder, Vater, Freund und einen Mann, der Mentor für so viele war." Viele, die mit ihm über die Jahre gearbeitet haben, etwa die Zwillingsbrüder Marcus und E.J. Strickland, erzählen in Internet-Foren, was sie alles von Roney gelernt hätten, wie viel kreativen Input er auf ihr eigenes Schaffen gehabt habe und dass er sie stets ermutigte, auf musikalisch unerforschtes Terrain vorzustoßen.
Dieser Wallace Roney wird der Jazz-Szene fehlen. Als er das letzte Mal in Deutschland gastierte, haute er viele Besucher seiner Konzerte mit der Intensität seines Vortrags um, zeigte er sich beseelt und manch einer behauptete gar, er habe jetzt seinen Zenit erreicht. Es ist ein kleiner Trost, dass Wallace Roney seine musikalischen Gene weitervererbt hat. Sein Sohn Wallace Roney Jr. ist ein begnadeter Trompeter, der des Vaters Erbe etwa auf "Perfection" (Motéma Records), einem Gemeinschaftsalbum von David Murray, Geri Allen und Terri Lyne Carrington, bereits zu Lebzeiten gut angelegt hat.
Mit einem Memorial-Konzert will Wallace Roneys Familie auf Zeiten nach der Pandemie warten.
radioJazznacht auf Bayern 2 am 12. April 2020
Burghausen goes Electric
Electro-Jazzige Highlights aus 50 Jahren Internationale Jazzwoche Burghausen mit Musik von Vincent Peirani, Guillaume Perret, LBT und anderen; sowie Erinnerungen an den Trompeter Wallace Roney, der 1989 mit dem Tony Williams Quintet in Burghausen zu Gast war.
Moderation und Auswahl: Ulrich Habersetzer
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