Am Münchner Gärtnerplatztheater kämpfen alle gegen ihr Schicksal: Die Jungen schlagen sich mit dem Erwachsenwerden herum, die Alten mit ihren Erinnerungen und alle Generationen dazwischen mit einer schwer lädierten Welt. Josef Köpplingers Inszenierung von Mozarts Oper "Die Zauberflöte" ist zeitgemäß, anspielungsreich und unterhaltsam.
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Es gibt keine neuen Erfahrungen, sondern immer nur neue Menschen, die alte Erfahrungen machen, wusste die berühmte Salondame Rahel Varnhagen schon vor 200 Jahren. Aber das ist natürlich ein ganz schwacher Trost, denn die Pubertät muss halt von jedem neu durchlebt werden, das Erwachsenwerden ist immer wieder aufs Neue schmerzlich, abenteuerlich, magisch - genauso, wie es Mozarts "Zauberflöte" vorführt. Dort geht es bekanntlich um die vielen Prüfungen, die das Leben für junge Menschen bereithält.
Die Alten lächeln darüber, sind sie doch Kummer gewohnt und skeptisch gegenüber Idealen. Die Revolution überlassen sie gern den Nachwachsenden, und genau darum geht es in Josef Köpplingers Inszenierung der "Zauberflöte" am Münchner Gärtnerplatztheater: "Es geht darum, was passiert, wenn ein Teenager auf eine Bühne geht, die vermeintlich völlig leer ist und aus seiner Fantasie entsteht eine Coming-of-Age-Story, also eine Geschichte des Erwachsenwerdens, und der ganze Theaterzauber mit all seiner Maschinerie setzt ein und er durchlebt mit seinem erwachsenen Ich, seinem Alter Ego als Erwachsener, die Geschichte einer Reise."
Alina Wunderlin überzeugt als Königin der Nacht in der aktuellen Inszenierung "Die Zauberflöte" in München | Bildquelle: Markus Tordik Diese Reise führt durch Himmel und Hölle, im Bühnenbild von Momme Hinrichs durch eine Wüstenei, in der wohl ein Krieg oder Erdbeben tobte, denn der alte Tempel ist zerborsten, die Säulen liegen demoliert im Sand, die einstige Pracht ist dahin. Ist hier ein Neuanfang möglich? Die Alten sind mit ihren Privatintrigen beschäftigt, die Jungen haben an ihrem Gefühlsleben zu knabbern, die Freimaurer machen auf Moral, aber die erscheint eher fraglich. Kein Wunder, dass da so ziemlich alle an den Verhältnissen irrewerden: Die vom Patriachat frustrierte Königin der Nacht, der ausgelaugte Machtmensch Sarastro, der lebenslustige Vogelfänger Papageno und Prinz Tamino, der an einer neuen Welt weit weniger interessiert ist als einer neuen Liebe. Josef Köpplinger: "Wie geht man mit dem Thema Rassismus in diesem Stück um, Frauenfeindlichkeit und nicht zu vergessen, dass es mitten in der Französischen Revolution, als ganz Europa gebrodelt hat, uraufgeführt wurde, und damit, dass die Freimaurerei mit drin ist."
Ja, das ist viel drin, in dieser "Zauberflöte", die auf den ersten Blick nicht sonderlich politisch wirkt, aber stets unterhaltsam und anspielungsreich, wie man es von Josef Köpplinger gewohnt ist. Als Papageno und Papagena von Kindern träumen, bekommen sechs Riesen-Eier Beine und springen über die Bühne. Die Zauberflöte ist natürlich ein zeitgemäßes Lichtschwert, allerlei Tiere schauen vorbei und die drei holden Knaben, die als eine Art Navi durch die Handlung führen, scheinen kurz davor zu sein, Klimakleber zu werden, jedenfalls tragen sie kunterbunte Outfits, die nach der Revolution rufen, und die Französische ist ja vorbei. "Das Schwierigste bei der 'Zauberflöte' ist für mich, abgesehen davon, dass jeder weiß, wie es geht, aber keiner kann, dass man da als Regisseur eine absolute Unruhe in sich spürt und ja nichts vergessen möchte", so Josef Köpplinger.
Den Spaßfaktor hat Köpplinger jedenfalls nicht übersehen. Diese "Zauberflöte" wird ihr Publikum finden. Sie ist auch in ein paar Jahren noch optisch aktuell. Gut, dass die Ausstatter auf allzu aktuelle Verweise verzichteten. Auch die Kostüme von Alfred Mayerhofer bleiben im Ungefähren. Ein bisschen Fantasy, ein bisschen Sneaker-Chic, und viele graue Herren als Sinnbild der Mächtigen, der Altvorderen, die ihr Abenteuer lange hinter sich haben. Ihre Gehilfen sehen mit schwarzen Lederschürzen und Tattoos aus, also ob sie von einer Rammstein-Tour ausgeliehen wurden. Das bleibt aber sehr feine Ironie.
Unterhaltsames Duo: Annina Wachter (Papagena) und Daniel Gutmann (Papageno) | Bildquelle: Markus Tordik Musikalisch gibt es nichts zu mäkeln: Die Besetzung ist hervorragend, angefangen bei Weltstar René Pape als Sarastro, der wunderbaren Koloratur-Sopranistin Alina Wunderlin als Königin der Nacht und einem jungenhaften Lucian Krasznec als Tamino. Die Herzen des Publikums eroberte, wenig verwunderlich, Daniel Gutmann als Vogelfänger mit Wienerischem Einschlag. Ja, genau so wollen wohl die meisten sein: Unbehelligt von der großen Politik, ungeschoren von gefährlichen Herausforderungen und ungeprüft vom Schicksal.
Der argentinische Dirigent Rubén Dubrovsky hätte womöglich noch eine Spur mehr Tempo und satirischen Biss in den Abend bringen können, aber auch so schnurrte diese "Zauberflöte" in knapp drei Stunden so beschwingt ab wie die Spieluhr, die hier ihre Auftritte hat. Viel Jubel für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, sogar die, die schon älter sind als 18 Jahre und zwei Minuten.
Sendung: "Allegro" am 23. Oktober 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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