BR-KLASSIK

Inhalt

Patricia Kopatchinskaja über politisches Engagement "Wir sind nicht unendlich"

Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja gilt als Künstlerin, die sich gerne zu Wort meldet, auch in politischen Fragen. Mit ihrem Programm "Les Adieux" setzt sie sich auf der Bühne mit Klimawandel und Naturschutz auseinander. Im BR-KLASSIK-Interview äußert sich die Musikerin zu ihren Ängsten und wie sich der Konzertbetrieb den aktuellen Krisen entgegenstellen kann.

Patricia Kopatchinskaja | Bildquelle: © Lukas Fierz

Bildquelle: © Lukas Fierz

BR-KLASSIK: Patricia Kopatchinskaja, Sie sind eine Künstlerin, die sich gerne zu Wort meldet, auch in politischen Fragen. In der Welt tobt es ja gerade: Ukraine-Krieg, Klimawandel und und und ... Inwiefern beeinflusst Sie das alles? Ihr Sein als Musikerin?

Patricia Kopatchinskaja: Ich bin Musikerin, aber auch ein Mensch. Und – das ist vielleicht noch wichtiger – auch eine Mutter. Und ich möchte gerne einen Planeten, der friedlich, gesund und eine Zukunft hat – für meine Tochter. Und das ist unter diesen Umständen äußerst schwierig. Was jetzt in der Ukraine passiert, könnte am nächsten Morgen schon in Moldawien sein, das an der Grenze zur Ukraine liegt. Sehr viele Ukrainer sind nach Moldawien geflüchtet. Die Menschen sind total friedlich und wollen keine Konflikte, können sich aber auch nicht wehren. Also die Gefahr ist sehr groß.

Jeder hat seine Pflicht, etwas für die Gesellschaft und für die Welt zu tun.
Patricia Kopatchinskaja

BR-KLASSIK: Wie geht es Ihnen mit ihrem Beruf als Musikerin? Haben Sie das Gefühl, der ist wichtiger denn je durch diese ganzen Umstände. Oder haben Sie eher das Gefühl von Luxus: Ich bin Musikerin und das angesichts dessen, was in der Welt passiert ... Ist es nicht eigentlich verrückt?

Patricia Kopatchinskaja: Nein, ich glaube, jeder hat seine Pflicht, etwas zu tun für die Gesellschaft, für die Welt. Was man halt kann.

BR-KLASSIK: Aber die Frage ist: Kann Kultur jetzt in dieser ganzen Situation irgendetwas geben? Oder haben Sie das Gefühl, es ist eigentlich eine Parallelwelt, in der Sie sich aufhalten?

Patricia Kopatchinskaja: Keine Frage, man muss sich äußern. Und der Krieg ist nicht das Schlimmste, sondern der Klimawandel. Das ist schlimmer und viel globaler. Und dagegen kann man auch nicht mit einer Armee kämpfen. Es bedarf eines gänzlichen Umdenkens. Und wenn man den Wissenschaftlern Glauben schenkt, dann müsste man ja wirklich total verzweifelt sein.

BR-KLASSIK: Sind Sie das?

Patricia Kopatchinskaja: Das bin ich. Und ich bin auch sehr pessimistisch und skeptisch. Ich glaube, die Menschen verstehen es nicht genug, weil wir mit Zahlen nicht so umgehen können wie die Wissenschaftler. Wir verstehen diese Aufstellungen nicht, die sie uns immer wieder vorzeigen und zu erklären versuchen.

BR-KLASSIK: Aber die Menschen in den ärmeren Ländern dieser Welt müssen keine Zahlen verstehen. Die sehen den Klimawandel und erleben ihn.

Patricia Kopatchinskaja: Nicht nur in den armen Ländern. Die Menschen hier in der Schweiz zum Beispiel, die oft in die Berge gehen, haben innerhalb von zehn, zwanzig Jahren gemerkt, dass die Gletscher einfach schmelzen. Wir können das durch Fotos beweisen.

BR-KLASSIK: Und was können Sie, was können Musikerinnen und Musiker tun? Denn der Konzertbetrieb ist ja auch Teil des Problems, mit den vielen Reisen und dem "Durch-die-Welt-Jetten".

Es braucht eine Zusammenarbeit von allen Seiten.
Patricia Kopatchinskaja

Patricia Kopatchinskaja: Natürlich. Hier in Bern gibt es die Camerata Bern, und wir haben alle zusammen beschlossen: Wir wollen so unschädlich wie möglich leben. Das ist natürlich sehr schwierig als reisende Musiker. Und doch könnte man die Tourneen so organisieren, dass man sich geografisch vernünftiger und weniger bewegt. Wir sind zum Beispiel kürzlich nach Rotterdam mit einem einzigen Bus gefahren. Das hat uns zwar elf Stunden gekostet. Man kann natürlich auch mit dem Zug fahren, man kann auch vermehrt in der Region spielen und so weiter. Es braucht eine Zusammenarbeit von allen Seiten, von den Musikern, vom Management sowie von den Veranstaltern. Aber auch vom Publikum.

BR-KLASSIK: Also so eine Art Mobilitätsmanagement für den Konzertbetrieb? Sie machen aber auch Konzerte zum Thema Klimawandel. Zum Beispiel "Les Adieux" in Form eines szenischen Konzerts mit Musik unter anderem von Beethoven.

Patricia Kopatchinskaja: Ja, wir haben die "Pastorale" gespielt. Und statt des letzten Satzes, wo man sich der Natur erfreuen soll, haben wir die "Marcia Funebre" vom Ende der dritten Symphonie gespielt. Und dazu gab es eine sehr schöne Animation mit den frühesten Zeichnungen der Tiere. Diese sind wie in einem Trauermarsch in eine Richtung gegangen und dann verschwunden. Es gab in diesem Video auch menschliche Gestalten und Fantasiegeschöpfe. Und diese Tiere gingen dann zusammen mit den Menschen einfach in die Hölle und in den Tod. Das war ein sehr rührender Moment.

BR-KLASSIK: Aber auch dramatisch ...

Patricia Kopatchinskaja: Natürlich war das dramatisch, wir haben es kaum ausgehalten. Die Musiker haben plötzlich etwas sehr Neues gespürt: Man spielte mit einer Bedeutung, es waren nicht mehr nur Töne und Perfektion, dass die Kritiker ja nichts sagen, sondern es ging wirklich "um die Wurst".

BR-KLASSIK: In Ihrem Beethoven-Projekt "Les Adieux" spielen Sie auch Beethovens Violinkonzert. Mit dem treten Sie ja häufig auf. Hat dieses Stück für Sie auch eine politische bzw. gesellschaftliche Relevanz?

Patricia Kopatchinskaja: Ich würde sagen: vor allem eine menschliche. Denn es geht um unsere Zukunft. Die Natur wird vielleicht noch überleben. Aber es geht um uns – und jede Aussage ist menschlich, politisch, musikalisch, künstlerisch, technisch. Das alles hängt miteinander zusammen. Wir sind alle auf einem sehr, sehr dünnen und schmelzenden Eis. Ja, auch in Beethovens Violinkonzert gibt es Momente, in denen man denkt, das ist sehr geisterhaft und es spricht etwas vom Jenseits. Wir müssen uns vorstellen und wir müssen uns bewusst sein, dass wir nicht unendlich sind.

Sendung: "Leporello" vom 4. November 2022 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (0)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

    AV-Player