Im Ben-Haim-Forschungszentrum in München liegt versteckt zwischen dem Israelischen Generalkonsulat und dem NS-Dokumentationszentrum und widmet sich den Geschichten und der Musik jüdischer Komponistinnen und Komponisten. Gerade ist dort Feststimmung angesagt, denn am 5. Juli feiert der Namensgeber und gebürtige Münchner seinen 125. Geburtstag. Als Komponist verbindet Paul Ben-Haim ganz verschiedene Einflüsse.
Bildquelle: National Library of Israel
Zum 125. Geburtstag von Paul Ben-Haim
Ein Komponist zwischen den Welten
Tel Aviv und München, das Judentum, Richard Strauss und Gustav Mahler. Diese so unterschiedlichen Einflüsse haben den Komponisten Paul Ben-Haim geprägt. Das zeigt sich beispielsweise in seiner "Pastorale Variée" – komponiert in den 1940er-Jahren, unter dem Einfluss des Zweiten Weltkriegs. Zu dieser Zeit ist Paul Ben-Haim bereits nach Palästina ausgewandert. Kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 packt er seine Sachen, verabschiedet sich von seiner Familie in München. Damals heißt er noch Paul Frankenburger. Jahre später in Tel Aviv setzt er dann den Namen Paul Ben-Haim unter seine Partituren – "Sohn des Heinrich".
Er war jemand, der mit beiden Beinen auf dem Boden der Tradition stand.
Westliche Kompositionstraditionen treffen auf arabische Melodien und Rhythmen. Während andere sich an Zwölftonmusik und elektronischen Experimenten versuchen, entwickelt Paul Ben-Haim seine ganz eigene Musiksprache. Und das geradezu still und heimlich, erklärt Musikwissenschaftler und Leiter des Ben-Haim Forschungszentrums in München, Tobias Reichard. "Im Grunde genommen zeichnet ihn als Mensch dieselben Qualitäten aus wie auch als Künstler – in dem Sinn, dass er ein sehr ernsthafter, zurückgenommener Komponist war, aber auch ein Mensch, dem es nicht auf die große Geste ankam oder der sich irgendwie als Revolutionär inszeniert hat, wie das viele andere Komponistenkollegen damals gemacht haben. Er war jemand, der mit beiden Beinen auf dem Boden der Tradition stand."
Zwischen Odeonsplatz und Stachus, am Maxmiliansplatz, wächst der junge Paul Frankenburger in München auf. In eine wohlhabende Familie ist er 1897 hineingeboren worden. Spielt Geige, später Klavier und studiert schließlich – nur ein paar Häuserblocks entfernt – an der Akademie der Tonkunst Klavier und Komposition. Er assistiert Bruno Walter an der Bayerischen Staatsoper und wird schließlich Kapellmeister in Augsburg. Das ist im Jahr 1924 – der Anfang vom Ende seiner glanzvollen Karriere in Bayern. Rechtspopulistische Parolen werden salonfähig, Judenfeindlichkeit zieht in die Kulturinstitutionen ein. 1931 entlässt das Augsburger Theater schließlich den jüdischen Kapellmeister Frankenburger. Er wird arbeitslos. Und so siedelt er nach Palästina über, entfaltet sich dort als Pianist, Dirigent und Komponist. Schreibt Musik, die von den Schrecken des Krieges erzählt, aber immer auch Sehnsucht, Licht und Freude in sich trägt.
In Deutschland hat man sich lange nicht dafür interessiert, weil Ben-Haim aus dem Nachkriegsraster rausgefallen ist.
Aber warum sind die Kompositionen von Paul Ben-Haim so lang in der Versenkung verschwunden, zum Beispiel seine zwei Lieder aus "Des Knaben Wunderhorn"? Tobias Reichard sagt dazu: "Die wurden 1930/31 komponiert und nicht mehr aufgeführt, weil es auch in Palästina und Israel für solche – in Anführungszeichen – deutsche Kompositionen keinen Markt gab. In Deutschland wiederum hat man sich lange nicht dafür interessiert, weil Ben-Haim aufgrund seiner eher traditionellen künstlerischen Ansicht aus diesem Nachkriegsraster rausgefallen ist, das eher die künstlerischen Avantgarden begünstigt hat."
Paul Ben-Haim ist also ein Komponist zwischen den Welten. Für die einen nicht experimentell genug, für die anderen nicht jüdisch oder arabisch genug. Doch – so sagt Musikwissenschaftler Tobias Reichard – ist er ein Komponist, an dessen Musik wir uns nicht nur zu seinem Geburtstag erinnern sollten, sondern immer.
Dienstag, 5. Juli 2022, 19:00 Uhr
Großer Konzertsaal, Arcisstraße 12
Festkonzert zum 125. Geburtstag
Paul Ben-Haim:
Werke für Streichorchester
Bayerische Kammerphilharmonie
Mehr Informationen gibt es auf der Homepage der Musikhochschule München.
Sendung: "Allegro" am 5. Juli 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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