Bildquelle: Deutsche Grammophon
Es ist der Eros, dem Mozart in dieser Oper konsequent nachspürt: Das zeigt die Baden-Badener Interpretenschar des Dirigenten Yannick Nézet-Séguin beileibe nicht als erste, aber so nachdrücklich wie wenige unter den zahlreichen Rivalen der „Figaro“-Diskografie. Die musikalisch bekräftigte These Mozarts lautet: Des Menschen eigentlicher An-Trieb, der Urgrund seines Lebenswillens, ist die erotische Begierde!
Immerhin positioniert sich hier nicht nur der Chef des Philadelphia Orchestra, das zu den „Big Five“ Amerikas zählt. Auf den Operndirigenten Nézet-Séguin darf seit seiner Berufung an die Spitze der MET mit noch respektvolleren Augen geschaut werden als bei den vorangegangenen Etappen seines Mozart-Zyklus. Der Kanadier erfüllt auch beim „Figaro“ alle Erwartungen: Er weiß und belegt an der Spitze des Chamber Orchestra of Europe, dass man auch mit konventionellen Instrumenten im Tutti federleicht musizieren kann. Abseits jeglicher Tempo-Extreme stellt sich ein natürlicher Fluss der Töne her. Mit dem Blick für Proportionen balanciert Nézet-Séguin die subtilen Höhenflüge und Abgründe der Musik aus, und wo es sein muss, lässt auch er Mozart als aufmüpfigen Rebellen am Vorabend der Französischen Revolution erscheinen.
Dass sich die Sänger in sechs, wenn nicht sieben Fällen das Prädikat „gut“, wo nicht „sehr gut“ verdienen, ist bei „Figaro“-Aufnahmen keine Seltenheit, aber tatsächlich auch hier wieder so: Thomas Hampson betont den Kavalier alter Schule bei Almaviva, Luca Pisaroni den trotzigen Widersacher bei Figaro. Das Objekt beider Begierde, Susanna, stellt in Gestalt von Christiane Karg eine aparte Verlockung dar. In allen drei Etagen der weiblichen Stimmlagen gibt es Überraschungen der angenehmsten Art: bei Sonya Yoncheva als Gräfin, Angela Brower als Cherubino, Anne Sofie von Otter als Marcellina. Die kleine Partie des Basilio ist wohl noch nie so prominent besetzt worden wie diesmal - mit Rolando Villazón, vergnügt unterwegs im Charakterfach! Und wenn es ernst wird, zeigen die Stars alle, zu welchem Ensemblegeist sie fähig sind.