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Bayreuther Festspiele

24. Juli - 27. August 2024

Kritik - "Siegfried" bei den Bayreuther Festspielen Sieben Krokodile auf dem Alexanderplatz

Gewalt, Verrat, Liebe, Macht, Mord und Humor - all das hat die Inszenierung von Frank Castorf zu bieten. Dieser "Siegfried" gehört mit zum Unterhaltsamsten und Stärksten, was derzeit im Festspielhaus zu sehen ist. Dafür gab es am Dienstagabend Bravorufe in Bayreuth.

Bildquelle: © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Das Gespräch mit Dirk Kruse zum Anhören

Vollwaise Jung-Siegfried, der von Mime, dem mürrischen Zwerg aufgezogen wurde, ist in der Bayreuther Inszenierung ein leicht prolliger Kraftprotz mit Goldkettchen. Und ziemlich brutal. Was auch daran liegen mag, dass er ein Enkel von Göttervater Wotan ist. In seiner gewalttätigen Naivität tötet er den Riesen Fafner, raubt ihm Goldschatz und den Ring des Nibelungen, der unsagbare Macht verleiht, und bringt auch noch den intriganten Mime mit drei Messerstichen um, der ihm den Schatz wieder abnehmen will. Am Ende erringt Siegfried die gefallene Ex-Göttin Brünnhilde zur Frau, die streng genommen seine Tante ist.

Sozialistische Utopie und echte Krokodile

Szenenbilder Siegfried, Bayreuther Festspiele 2017 | Bildquelle: © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath 1. Aufzug: John Lundgren (Wotan), Andreas Conrad (Mime) | Bildquelle: © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath Szenisch ist dieser Castorf-Ring einfach stark, besonders der "Siegfried", in dem Frank Castorf ganz persönliche Assoziationen zu seiner DDR-Vergangenheit auf die Bühne bringt. Die Drehbühne wechselt zwischen zwei Schauplätzen hin und her. Schauplatz Nr. 1 ist ein irrealer Ort, den man als Steinbruch der sozialistischen Utopie bezeichnen könnte, und der Riesenköpfe in einem Felsmassiv zeigt.

Allerdings sind es nicht die vier berühmten US-Präsidenten vom Mount Rushmore, sondern die Säulenheiligen des Sozialismus: Marx, Lenin, Stalin und Mao. Der zweite Schauplatz ist der Berliner Alexanderplatz zu DDR-Zeiten mit Centrum-Warenhaus, Urania-Weltzeituhr, Restaurant, und U-Bahn-Station. Hier hat Wotan ein Date mit Erda - samt arrogantem Kellner und Blowjob, Siegfried schmiedet sich eine Nothung-Kalaschnikow und der Waldvogel tanzt Samba in einem 18 Kilo schweren Federkostüm. Echte Krokodile gibt es auch auf dem Alexanderplatz. Waren es beim ersten "Ring" vor fünf Jahren noch zwei, ist peu à peu Nachwuchs dazugekommen: Gleich sieben Krokos robben jetzt über die Bühne.

Die Inszenierung in Bildern

Starker Siegfried, berührende Brünnhilde

Szenenbilder Siegfried, Bayreuther Festspiele 2017 | Bildquelle: © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath Catherine Foster (Brünhilde) | Bildquelle: © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath Die Sängerbesetzung präsentiert sich in allen Rollen durchweg festspielwürdig. Allen voran Tenor Stefan Vinke, der den Siegfried nun schon im dritten Jahr in Bayreuth singt. Er ist ein heldischer Siegfried, der sich seine Partie gut bis zum Ende einteilt und im Forte nicht brüllen muss. Die Schmiedelieder klingen markig, und wenn Vinke im 3. Akt auf die ausgeschlafene Brünnhilde trifft, hat er immer noch stimmliche Kraftreserven. Nur bei den lyrischen Passagen zeigt er leichte Schwächen. Catherine Foster als Brünnhilde sorgt beim Erwachen "Heil dir, Sonne! Heil dir, Licht!" für den Gänsehaut-Moment in dieser Aufführung.

Foster, die jetzt schon im fünften Jahr die hochdramatische Brünnhilde im Festspielhaus singt, ist in der Rolle noch besser geworden. Sie zeigt sich jetzt ganz als Herrin ihrer technischen Mittel, vom kraftvollen Forte über eine wohlklingende Mittellage bis hin zu den leisen Tönen. Thomas J. Mayer beeindruckt als Wotan mit tiefem Stimmsitz und götterväterlicher Bühnenpräsenz. Der Bass Albert Dohmen als Alberich ist grandios gut: herrlich böse und dennoch verletzlich. Er hat im Festspielhaus auch schon unter der musikalischen Leitung von Christian Thielemann im Dorst-"Ring" mehrere Jahre als hervorragender Wotan reüssiert. Auf ganzer Linie überzeugen kann auch Andreas Conrad, der Darsteller des Mime. Er hat die Rolle auf Castorfs Wunsch hin stark karikierend gezeichnet. Außerdem war Conrad der textverständlichste Sänger in dieser Inszenierung.

Ausgewogene Orchester-Dynamik und unterhaltsames Regietheater

Nach Schwierigkeiten im "Rheingold", wo Musik und Szene nicht immer synchron waren, und einer viel besseren, allerdings manchmal zu lauten "Walküre" punktet Marek Janowski im "Siegfried" mit einer gekonnt ausgewogenen Dynamik. Denn gerade ein zu lautes Orchester kann es dem "Siegfried" ungeheuer schwer machen. Als erfahrener "Ring"-Dirigent weiß Marek Janowski natürlich die emotionalen Höhepunkte dieser Partitur gekonnt zu präsentieren. Doch wenn man Janowskis Leistung mit dem grandiosen, gänsehauterregenden Dirigat Christian Thielemanns im Dorst-"Ring" und der sehr filigranen, farbenfrohen Deutung Kirill Petrenkos im Castorf-"Ring" vergleicht, dann fällt Janowski gegen diese Glanzleistungen doch etwas ab. Dafür bleibt Castorfs Personenregie schlicht großartig. So skurril, spielfreudig und unterhaltsam kann modernes Regietheater auch manchmal sein.

"SIEGFRIED" AUF BR-KLASSIK

Dienstag, 15. August 2017, 18.05 Uhr
in Surround in einem Mitschnitt vom 1. August 2017

Musikalische Leitung: Marek Janowski
Regie: Frank Castorf

Siegfried: Stefan Vinke
Mime: Andreas Conrad
Wanderer: Thomas J. Mayer
Alberich: Albert Dohmen
Fafner: Karl-Heinz Lehner
Erda: Nadine Weissmann
Brünnhilde: Catherine Foster
Waldvogel: Ana Durlovski

Sendung: Allegro, 02. August 2017, 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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