Unser Sende-Format "Hören wir Gutes und reden darüber" wurde in der Kategorie "Beste Sendung" mit dem Deutschen Radiopreis ausgezeichnet. Zu ausgewählten Terminen überraschen wir uns mit Album-Klassikern des Jazz.
Bildquelle: Timeless
BR-KLASSIK - Jazztime
Hören wir Classics und reden darüber 30.11.22
"Hören wir Classics und reden darüber" hier zum Nachhören - mit aus rechtlichen Gründen gekürzten Musikstücken.
In dieser Sendung haben sich Beate Sampson, Ulrich Habersetzer und Roland Spiegel zum dreizehnten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende drei Album-Klassiker des Jazz wurde in der Sendung gesprochen.
Der Pianist Cedar Walton, der Saxophonist George Coleman, der Bassist Sam Jones und der Schlagzeuger Billy Higgins gehören zwar nicht in die Riege der Jazz-Superstars wie etwa Miles Davis, Chet Baker, John Coltrane oder Duke Ellington, aber allen, die etwas tiefer in die Materie Jazz eintauchen, sind sie ein Begriff - nicht zuletzt wegen ihres Albums "Eastern Rebellion", dessen Titel sie zugleich auch als ihren Bandnamen verwendeten. Zum Zeitpunkt ihres Quartett-Debüts hatten sie sich alle schon einen Namen in der Jazzszene gemacht. Sie waren Musiker, die durch die Schule des Bebop und Hard Bop gegangen und längst Mitgestalter neuer stilistischer Strömungen geworden waren. Der Schlagzeuger Billy Higgins etwa, der später - auch als Haus-Drummer bei Blue Note Records - an mehr als 700 Alben mitwirkte, hatte 1958, mit 22 Jahren, auf Ornette Colemans richtungsweisendem Album „Something Else!“ mitgewirkt und den Free Jazz mit eingeläutet. Er spielte ihn umwerfend und ebenso gerne wie Funk und Rock. Pianist Cedar Walton hatte seine "Grundausbildung" Ende der 50er Jahre in den Bands von Benny Golson und Art Farmer, und dann im Besonderen bei Art Blakeys Jazzmessengers gemacht und sich als Komponist von Stücken etabliert, die Jazzstandards geworden sind - etwa "Ugetsu" oder "Mosaic". Bassist Sam Jones, 10 Jahre älter als seine Bandkollegen, war im Cannonball Adderley Quintet und im Trio von Oscar Peterson bekannt geworden. Diese drei Musiker spielten seit 1972 mit wechselnden Solisten zusammen und firmierten wegen ihres grandiosen Zusammenspiels unter dem Namen "The Magic Triangle". Mit dem Saxophonisten George Coleman, der in ganz jungen Jahren mit Ray Charles und B.B.King Soul und Blues gespielt hatte, und nach zwei Jahren im Quintett von Miles Davis sehr bekannt geworden war, hatten sie genau den passenden Spieler gefunden, um mit vier eigenen Kompositionen und einer Interpretation von John Coltranes "Naima" die Strömungen ihrer Zeit - jeweils stark auf ihre jeweiligen Ursprünge referenzierend - mit ihrer ganz eigenen Energie zu reflektieren. Enorm groovend und swingend bewegten sie sich in Richtung Modern Jazz und Fusion und lieferten ein Highlight nach dem anderen, wobei das latinjazz-beeinflusste Stück "Bolivia" von Cedar Walton besonders heraussticht. Die Band "Eastern Rebellion" und ihr Plattendebüt, das seinen Titel wahrscheinlich einer kurz vor seiner Einspielung absolvierten Japan-Tournee verdankt, sind meines Erachtens herausragende Jazzklassiker!
Bildquelle: WATT
So komponiert nur Carla Bley: Eine Musik, wie eine wärmende Umarmung; Konventionelle Akkorde, aber so aneinandergereiht, dass eine harmonische Farbigkeit entsteht, die ihresgleichen sucht: Melodielinien, die einfach, ja banal erscheinen, aber ein geniales Augenzwinkern in sich tragen. Über die Pianistin und Komponistin Carla Bley kann man (oder ich) stundenlang schwärmen!
Allein der Titel dieses Albums mit Live-Aufnahmen vom Mai 1994, entstanden bei einer Europa-Tournee, verrät so viel über die Musikerin und ihren Humor: "Songs with legs". Können Lieder Beine haben? Bei Carla Bley können Lieder alles haben und sein: Sie können voll von vertrackten Themen und bewusst eingesetzten Fehler sein, etwa im Stück "Wrong Keys Donky". Oder sie können eine bluesgetränkte Verneigung vor Thelonious Monks Stück "Misterioso" sein. Und sie können voll hymnischer Kraft, erdiger Präsenz und zugleich himmlischer Luftigkeit sein, wie in der Gospelballade "The Lord is listenin‘ to ya, Hallelujah" - für mich das Highlight des Album. Ein "Classic Sound in Jazz", den man unbedingt kennen sollte. Aber Vorsicht: Der herrliche Zusammenklang von Carla Bleys Klavier, Steve Swallows akustischer Bassgitarre und Andy Sheppards Sopran- und Tenorsaxophon macht einfach süchtig! Einmal angefangen will man (oder ich) immer mehr davon!
Nina Simone: "At Town Hall", RHINO 2564628851 (LC 02982)
Bildquelle: Colpix Es war ihr Durchbruch. Von da an prägte sich ihre Stimme vielen Musikfans tief ein. 1959 konnte die afroamerikanische Sängerin Nina Simone endlich an einem bedeutenden Auftrittsort zeigen, was für eine außergewöhnliche musikalische Aura sie hatte. Es war die New Yorker Town Hall, die rund 1500 Sitzplätze bot und in der zuvor bereits Louis Armstrong, Charlie Parker und Dizzy Gillespie sich einem großen Publikum hatten stellen können. Nina Simone nutzte die Chance mit überwältigenden, aber nie lauten Tönen. Das Konzert vom 12. September 1959 wurde noch im selben Jahr zunächst mono und dann auch im Stereo-Sound veröffentlicht - und machte die Interpretin in den USA und darüber hinaus berühmt. Schon die ersten Töne auf dem Album nehmen gefangen. Da ist diese dunkle, leicht raunende, erdig getönte Gesangsstimme, die sofort eine immense Nähe und emotionale Dichte entstehen lässt. Gleich der erste Song ist ein Manifest. Die ersten Worte lauten: "Black Is The Color". Es sind die Anfangsworte des Folksongs "Black Is The Color Of My True Love’s Hair", den auch so großartige Interpreten wie John Jacob Niles und Pete Seeger im Repertoire hatten. Doch wohl niemand erreichte eine so große Eindringlichkeit damit wie Nina Simone in dieser Live-Aufnahme. Gershwins "Summertime", der Billie-Holiday-Song "Fine And Mellow", der Film-Hit "Wild Is The Wind": Stationen wie diese schritt Nina Simone bei diesem Konzert ab und schuf einen großen Klassiker afroamerikanischer Musik. Zur expliziten politischen Aktivistin wurde sie mit Songs wie "To Be Young, Gifted And Black" erst später. Aber ihre ganze Ausdruckskunst hatte die Sängerin und klassisch geschulte Pianistin schon hier gefunden. Als Jugendliche hatte sie erleben müssen, dass ihre Eltern bei einem Klaviervorspiel einem weißen Elternpaar ihre Plätze überlassen sollten, mit 17 wurde sie wegen ihrer Hautfarbe am Curtis Institute of Music in Philadelphia abgewiesen. Dem Rassismus trotzte sie ihr Leben lang mit einer Musik voller unwiderstehlicher Kraft. Sie selbst nannte ihre Töne weder Jazz noch Soul, sondern "Black Classical Music". Genau das ist auf diesem Album zu hören.