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Album-Klassiker des Jazz vorgestellt im Gespräch - Vol. 28 Hören wir Classics und reden darüber

Unser Sende-Format "Hören wir Gutes und reden darüber" wurde 2022 in der Kategorie "Beste Sendung" mit dem Deutschen Radiopreis ausgezeichnet. Zu ausgewählten Terminen überraschen wir uns mit Album-Klassikern des Jazz.

Cover - Jim Hall in Berlin | Bildquelle: MPS

Bildquelle: MPS

"Hören wir Classics und reden darüber" hier zum Nachhören.
In dieser Sendung haben sich Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer zum achtundzwanzigsten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende drei Album-Klassiker des Jazz wurde in der Sendung gesprochen.

Jim Hall: "It’s nice to be with you - Jim Hall in Berlin", MPS

Er galt als der leiseste Gitarrist der Welt: der amerikanische Jazzmusiker Jim Hall (1930-2013). In einem Interview mit BR-Klassik sagte er im Jahr 2007, er verwende den Verstärker nicht, um lauter, sondern um leiser spielen zu können. Sein Klang hatte großen Einfluss auf spätere Gitarren-Stars wie Pat Metheny und Bill Frisell. Das amerikanische "Guitar Player"-Magazin zählte Hall dennoch zu den "25 Gitarristen, die die Welt erschütterten" - in einer Reihe mit Musikern wie Jimi Hendrix und Eddie Van Halen. Seine Art zu erschüttern ist ganz fein und diskret. In der vorliegenden Aufnahme, die im Juni 1969 in den Teldec-Studios in Berlin entstand, kann man Jim Halls edlen und feinen Sound in Klassikern wie "My funny Valentine" und "In a sentimental mood" genießen. Besonders spannend daran ist die Besetzung: In den meisten der acht Stücke spielt Hall im Trio mit Bassist Jimmy Woode und dem damals 30 Jahre jungen Schlagzeuger Daniel Humair; aber im relativ zügig angegangenen "My funny Valentine" hat Hall eine zusätzliche Gitarrenspur darüber gelegt, so dass hier ein Quartett mit zwei miteinander dialogisierenden Gitarren zu hören ist. Und zwei andere Stücke, unter anderem Ellingtons Komposition "In a sentimental mood", sind hier Gitarren-Duos von Hall mit sich selbst (ohne Bass und Schlagzeug): faszinierende Dialoge, die an die "Conversations with myself" des Pianisten Bill Evans erinnern (1963, sechs Jahre vor diesen Aufnahmen). Jim Hall erinnert mit dem Album an zwei wichtige Frauen in seinem Leben: seine Ehefrau Jane Herbert, die das Titelstück komponiert hat, und seine Tochter Debra, der er das Stück "Young one, for Debra" widmete. Auf der Hülle ist Hall mit seiner Tochter vor einem Berliner Bockwurst-Stand zu sehen. Produzent des damaligen Albums war "Jazzbuch"-Autor Joachim Ernst Berendt, den Hall ebenfalls mit einem Stück ehrte: "Blue Joe".

Stan Getz: "West Coast Jazz", Verve

Cover - Stan Getz: West Coast Jazz | Bildquelle: Verve Bildquelle: Verve Ein Sommer in Kalifornien: Sonne, Strand und Meer - klingt verlockend, kann aber auch langweilig sein. Stan Getz war wohl langweilig im Sommer 1955. Er musste in Kalifornien sein, denn er sollte im Film "The Benny Goodman Story" mitspielen und sich den Juli und August 55 in Hollywood bereithalten, damit er schnell am Set sein könnte, wenn seine Szenen zum Dreh anstünden.
Getz, damals ein aufstrebender Saxophonist der Szene, der wegen seiner undisziplinierten Art schon aus der Bigband von Klarinettist und Saxophonist Woody Herman rausgeflogen war, wollte aber auch Musik spielen. Er suchte sich Musikerkollegen und trat in einem Club auf - und er organisierte einen Studiotermin. Von 10. bis 19. August 1955 ging er mit Trompeter Conte Candoli, Pianist Lou Levy, Bassist Leroy Vinnegar und Schlagzeuger Shelly Manne ins Radio Records Studio in Hollywood. Künstlerische und kommerzielle Meilensteine wie "Jazzsamba" (1962) oder "The Girl from Ipanema" (1964) lagen da noch in weiter Ferne, trotzdem ist der typische Getz-Sound schon spürbar: dieses verführerische Schmirgeln gepaart mit einer überragenden Kontrolle und technischen Brillanz, selbst bei schnellsten Tempi. Augenzwinkernd nannten die vorwiegend von der Ostküste stammenden Jazzer das Album "West Coast Jazz" und das in einer Zeit, in der die Ausrichtung, ob etwas zum West oder East Coast Jazz gezählt wurde, ein großer Streitpunkt der Szene war. Heute spielt dieses Thema keine Rolle mehr, ein fantastisches, vom ersten bis zum letzten Ton genussvolles Album ist Stan Getz mit "West Coast Jazz" aber in jedem Fall gelungen.

"Thelonious Monk Quartet with John Coltrane at Carnegie Hall", Capitol Records

Cover - Thelonious Monk & John Coltrane at Carnegie Hall | Bildquelle: Blue Note Records Bildquelle: Blue Note Records Diese Aufnahme ist ein besonderer Schatz der Jazzgeschichte, der erst im Jahr 2005 gehoben wurde. In der Library of Congress in Washington, in der sich die größte Sammlung US-amerikanischer Tonaufnahmen und Radiosendungen befindet, wurden im Rahmen der Digitalisierung von Beiträgen des Senders "Voice of America" Aufnahmen gefunden, die am 29. November 1957 in der Carnegie Hall in New York entstanden sind. Dokumentiert ist ein echtes Highlight aus einer insgesamt neun Monate währenden Zusammenarbeit des Saxophonisten John Coltrane mit dem Pianisten Thelonious Monk. Die beiden hatten sich zusammengetan, nachdem Coltrane wegen seiner Heroinsucht aus der Band von Miles Davis geflogen war. Er unterzog sich einem kalten Entzug und ging in einen intensiven künstlerischen Austausch mit Thelonious Monk, der da schon längst mit seinem unverkennbaren Personalstil zu einem wahren Solitär der amerikanischen Jazzszene geworden war. In seiner Musik benutzte er häufig Ganzton-Skalen, setzte ungewöhnliche Alternativ-Töne in die Akkorde und huldigte zugleich in seiner Rhythmik der Ragtime Tradition. Die Themen seiner Stücke waren mit ihren ungewöhnlichen Intervallsprüngen und harmonischen Reibungen von einer kantigen Schönheit. Sie waren in jedem Moment überraschend und zugleich enorm einprägsam. In Monks musikalisches Universum wuchs John Coltrane in kurzer Zeit vollends hinein und konnte seine eigene spielerische Vision damit vollkommen verbinden. In dieser Konzert- Aufnahme, in der übrigens Ahmed Abdul-Malik Bass und Shadow Wilson Schlagzeug spielen, erlebt man die Präzision, den Intellekt, die Intuition und die Leidenschaft von zwei genialen Jazzikonen, deren Musik in ihrer Eigenständigkeit immer Bestand haben wird.

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