Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer überraschen sich und Sie mit aktuellen Jazzalben. Dieses Format wurde mit dem Deutschen Radiopreis 2022 als "Beste Sendung" ausgezeichnet, hier die 26. Ausgabe von "Hören wir Gutes und reden darüber".
Bildquelle: O-Tone Music
"Hören wir Gutes und reden darüber Vol. 26" hier zum Nachhören.
In dieser Sendung haben sich Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer zum sechsundzwanzigsten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende drei Alben wurde in der Sendung gesprochen.
Der Kontrast könnte kaum größer sein zwischen den originalen, sieben Kompositionen von Erik Satie und ihren Interpretationen von einer Band, die so besetzt ist, wie es ab den 1940er Jahren etliche der Bands waren, die den Bebop und darauffolgend den Hard Bop als neue Stilrichtungen des Jazz auf den Weg brachten: mit Saxofon, Trompete und Posaune, und einer Rhythmusgruppe mit Klavier, Bass und Schlagzeug. Den romantisierenden Tonfall der Klavierstücke, die Erik Satie im Zeitraum von 1888 bis 1897 schrieb - seine Zyklen "Six Gnossiennes" und "Trois Gymnopédies" -, spart der Kontrabassist Caspar Van Meel in seinen Arrangements komplett aus, aber die pentatonischen und Ganzton-Konzepte, die Mehrklang-Mixturen und ungewöhnlichen Skalen, die Saties impressionistische Zeitgenossen einsetzten, finden ihren Niederschlag darin. Die teils wohlbekannten Themen von Satie setzt er dabei so ein, dass der Aha-Effekt des Erkennens nicht sofort einsetzt, wenn man die Stücke blindfold hört. Die Art, wie er sie als Startbahn für einen klar konturierten, kraftvollen Modern Jazz verwendet, wie er seine Harmonisierungen mit breitem, harmonischem Pinselstrich zum Leuchten bringt und die Musik mit einem durch und durch swingenden Rhythmuskonzept vorantreibt, ist auch darauf zugeschnitten, seinen hervorragenden Solisten Raum für ihre immer spannend aufgebauten Improvisationen zu geben, für ihre Klangentfaltung und Toncharakteristik. Der rauen Sonorität von Denis Gäbels Tenorsaxofon, dem dunklen Glanz von Ryan Carniaux´ Trompete und dem körnigen Stoff, aus dem Raphael Klemms Posaunentöne gemacht sind. Komplettiert wird diese Band aus Nordrhein-Westfalen mit dem Pianisten Franz von Chossy, einem gebürtigen Münchner, und dem Schlagzeuger Niklas Walter. Eine starke Band mit Musikern, die zwischen Anfang/Mitte 30 und Anfang/Mitte 40 sind, und doch so kompakt klingen, als seien sie seit Jahrzehnten zusammengeschmiedet.
Bildquelle: enja Viele Entdeckungen kann man mit diesem Album machen. Die eine: die bewegende und zupackende Musik eines hervorragenden, manchmal zum Quartett erweiterten Trios. Die anderen: Texte, Welten, Lebensläufe von Persönlichkeiten, denen diese Musik gewidmet ist. "We’ll rise": Den Titel des Albums kann man übersetzen mit "Wir werden aufsteigen", aber auch mit: "Wir werden uns erheben", oder: "Wir werden wachsen". Gewidmet ist "We’ll rise" Frauen, vor denen sich die 1966 geborene deutsche Pianistin Anke Helfrich und die Mitglieder ihrer Band verbeugen. Zu ihnen gehören: die Jazzmusikerin Geri Allen (eine herausragende afroamerikanische Pianistin der letzten Jahrzehnte), die Schauspielerin Giulietta Masina (Star in vielen Filmen Federico Fellinis, dessen Ehefrau sie auch war), die Sprinterin Cathy Freeman (eine Olympiasiegerin und Botschafterin der australischen Aborigines) oder auch die mexikanische Malerin Frida Kahlo (eine der bedeutendsten Künstlerinnen Lateinamerikas). Eine besondere Rolle nimmt die amerikanische Schriftstellerin und Bürgerrechtlerin Dr. Maya Angelou ein, die einst bei der Amtseinführung des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton las und deren autobiographisches Buch "Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt" sich wie ein fesselnder Roman liest. Ihr Gedicht "Still I rise" hat Anke Helfrich im Titelstück dieses Albums beseelt und voller Blues-Tiefgründigkeit vertont und leiht dem Text mit einer Mischung aus Gesang und feiner Deklamation auch ihre Stimme. Ihr und ihren Partnern Dietmar Fuhr (Kontrabass), Jens Düppe (Schlagzeug) und Adrian Mears (Posaune/Didgeridoo) gelingt es, eine Musik mit vielen Aspekten und Hintergründen zu einer organischen Einheit zu formen. Soghaft schön, laden die fein gearbeiteten Musikstücke ein, den Biographien der Widmungsträgerinnen hinterher zu spüren. Das lohnt sich, Note für Note, Wort für Wort.
Bildquelle: Nonesuch Records
"Was wirst Du tun, wenn Du alles tun kannst?" Diese Frage stellte der im März verstorbene legendäre Saxophonist Wayne Shorter dem Trompeter Ambrose Akinmusire und dieser beantwortet die Frage jetzt musikalisch aufsehenerregend auf seinem aktuellen Album "Owl song".
Ambrose Akinmusire, sicher einer der bedeutendsten Jazzer zurzeit, hat energiegeladene, kraftvolle, verstörende und wutende Musik gemacht. Auf früheren Alben gibt es immer ein Stück in dem über Musik die Namen von getöteten afroamerikanischen Menschen genannt werden. Sein Jazz war immer auch politisches Statement, "Owl song" ist anders und doch ähnlich. Das aktuelle Album des Trompeters zusammen mit Gitarrenlegende Bill Frisell und Schlagzeuger Herlin Riley ist ruhig, reduziert, teilweise zart und zerbrechlich. Aber in jedem Ton den Ambrose Akinmusire spielt, brodelt es unterschwellig. Die Musik bricht selten, fast nie aus, aber die Intensität der Ruhe führt zu einer immensen Spannung. Man muss nur genau hinhören, dann geht "Owl Song" durch Mark und Bein! Eines der herausragenden Jazzalbum 2023!