Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer überraschen sich und Sie mit aktuellen Jazzalben. Dieses Format wurde mit dem Deutschen Radiopreis 2022 als "Beste Sendung" ausgezeichnet, hier die 31. Ausgabe von "Hören wir Gutes und reden darüber".
Bildquelle: Wooden Waggon Records
"Hören wir Gutes und reden darüber Vol. 31" hier zum Nachhören.
In dieser Sendung haben sich Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer zum einunddreißigsten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende drei Alben wurde in der Sendung gesprochen.
Dieses Album ist von der ersten bis zur letzten Note ein Traum! Zart, aber auch etwas mysteriös ziehen einen die ersten Töne hinein in eine Welt der puren Musik. Philipp Schiepek, Jahrgang 1994 aus dem mittelfränkischen Dinkelsbühl, ist Gitarrist und Komponist. Seit einigen Jahren sorgt er in der Jazzszene für Aufsehen, denn er spielt eine Musik, in der man die Jazztradition spürt, die aber neu klingt, eine Musik, die komplex und virtuos ist, die aber mit einer verblüffenden Leichtigkeit und Lebendigkeit gespielt wird, eine Musik, der einfachen Melodien, die aber immer eine tiefere Ebene in sich trägt.
"Versuch zu Träumen" ist das erste Album, das auf "Wooden Waggon Records" erscheint, dem neugegründeten Plattenlaben von Philipps Schwester Rebecca Schiepek. Das Cover des Albums zeigt den "Wooden Waggon", einen ausrangierten Wagen aus Holz im Wald - ein Ort zum Träumen. An ihn fühlt man sich versetzt, wenn Schiepek seine Sologitarren-Stücke spielt, die ihm ohne jegliche Anstrengung aus den Finger zu fließen scheinen. Sechs Eigenkompositionen und zwei Jazzstandards gibt es auf "Versuch zu Träumen", fünf Stücke sind im Trio mit Kontrabassist Henning Sieverts und Schlagzeuger Bastian Jütte, drei sind Solostücke. Wenn "Versuch zu Träumen III", der letzte Track des Albums verklungen ist, geht es einem, wie nach einem schönen Traum: man möchte die schwindenden Bilder, Töne und Klänge festhalten. Großartig, dass dieser musikalische Traum von Philipp Schiepek immer und immer wieder geträumt werden kann.
Bildquelle: Blue Note Records Schon bei den ersten, sachten und zugleich ganz intensiven Tönen möchte man wissen, wohin diese Musik gehen wird. Ein ruhiger Puls, erzeugt von einem Schlagzeug-Stick auf einem Becken weckt die Neugier und die Bereitschaft, sich mitnehmen zu lassen in den Sog des Unerklärlichen und Geheimnisvollen, der sich sofort einstellt. Klänge von einer Gitarre und einem Klavier schweben hinein, und dann formt sich - als käme er aus einer entlegeneren Gegend - ein flötenartiger Ton, der erst nach einer Weile ein Tenorsaxofon als seine Quelle zu erkennen gibt. Die für einen Moment lose erscheinenden Enden verbinden sich zu einem luftigen Gewebe, das ab da - wie von einer sanften Brise bewegt - fortwährend neue, überraschende, in jedem Moment bewegliche Gebilde hervorbringt. Und schon ist man im Bann einer Musik, die sich konsequent einer klaren Eindeutigkeit entzieht. Es gibt sie, weil die in New York lebende, chilenische Saxophonistin Melissa Aldana, Jahrgang 1988, tief in sich hineingehört hat und dort auf die Stimme ihres inneren Propheten getroffen ist, der vielleicht manchmal auch die Gestalt des, im letzten Jahr hochbetagt verstorbenen, Jahrhundertmusikers Wayne Shorter hat. Ihm ist der Opener des Albums gewidmet. Und als Melissa Aldana 2013 die renommierte Thelonious Monk International Jazz Saxophone Competition gewann, saß er in der Jury. Seitdem hat Melissa Aldana schon viel beeindruckende Musik komponiert und gespielt. Doch ihr neues Album erreicht eine bisher noch nicht dagewesene, einzigartige Ebene der Intensität in Tonfall und musikalischem Selbstausdruck und im Zusammenspiel mit ihrem großartigen Quintett. Zu ihm gehören der norwegische Gitarrist Lage Lund, der aus Kuba stammende Pianist Fabian Almazan, der chilenische Bassist Pablo Menares und der nordamerikanische Schlagzeuger Kush Abadey. Eine stellare Konstellation, der zauberische Musik gelingt.
Bildquelle: Blue Note Records Mit Mitte achtzig verfügt dieser Musiker noch immer über einen offenbar nicht versiegenden Atem: Der Saxophonist Charles Lloyd hat einen himmlischen Ton. Und er setzt ihn ein für eine Musik, die weit mehr ist als nur Klang. "The Sky Will Still Be There Tomorrow" heißt sein aktuelles Doppel-Album, das an Lloyds 86. Geburtstag erschien (am 15. März 2024). Die Partner des aus Memphis, Tennessee, stammenden Musikers - der in den 1960ern Rockfans begeisterte und einst den ganz jungen Keith Jarrett weltbekannt machte - sind hier Pianist Jason Moran, Bassist Larry Grenadier und Schlagzeuger Brian Blade, allesamt gut eine Generation jünger und ebenfalls herausragende Figuren der internationalen Jazzszene. Sie bilden mit Lloyd ein ungemein organisches Quartett: Raum und Entspanntheit prägen ihr Zusammenspiel. Schlafwandlerisch harmonieren diese Vier in einer Musik, die durchweg eine spirituelle Botschaft hat - was nicht nur durch das Titelstück unterstrichen wird, sondern auch durch traditionelle Hymnen wie "Lift Every Voice and Sing" und einen Spiritual wie "There is a Balm in Gilead". Charles Lloyd spielt auf diesem Album Tenorsaxophon mit seinem in vielen Farben oszillierenden, meist sanftem und federleichten Ton und manchmal auch Flöte. Trancehafte Schönheit und klare Kontur hat diese Musik. In besonders innigen Stücken verbeugt sich Lloyd auch vor großen afroamerikanischen Figuren wie Billie Holiday und dem wie Lloyd aus Memphis stammenden Trompeter Booker Little. Musik, die aber kein Spezialwissen voraussetzt, sondern unmittelbar das Gefühl anspricht. Balsam-Klänge.