Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer überraschen sich und Sie mit aktuellen Jazzalben. Dieses Format wurde mit dem Deutschen Radiopreis 2022 als "Beste Sendung" ausgezeichnet, hier die 18. Ausgabe von "Hören wir Gutes und reden darüber".
Bildquelle: Hopalit Records
BR-KLASSIK - Jazztime
Hören wir Gutes und reden darüber - Vol 18
"Hören wir Gutes und reden darüber Vol. 18" hier zum Nachhören - mit aus rechtlichen Gründen gekürzten Musikstücken.
In dieser Sendung haben sich Roland Spiegel, Ulrich Habersetzer und Beate Sampson zum achtzehnten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende drei Alben wurde in der Sendung gesprochen.
Schon als der Pianist Pablo Held 2008 im Alter von 21 Jahren sein CD-Debüt "Forest of Oblivion" vorlegte, verströmten seine Kompositionen eine ganz eigene, feine und innige Intensität ohne einen Hauch Effekthascherei. Vierzehn weitere Alben hat er seitdem herausgebracht, und auf dreizehn davon spielt er mit Bassist Robert Landfermann und Schlagzeuger Jonas Burgwinkel zusammen - im Trio, aber auch in größeren Besetzung. Auf "Buoyancy", seinem sechzehnten, stellt der in Köln lebende Pablo Held nun eine neue Konstellation vor, zu der neben dem jungen, deutschen Schlagzeuger Leif Berger auch zwei aus England stammende Größen der jüngeren Szene gehören: der Trompeter und Flügelhornist Percy Pursglove und Kit Downes, der selbst ein führender Pianist des europäischen Jazz ist, hier aber ausschließlich seine Spezialkompetenz als Organist einbringt, während Pablo Held zusätzlich zu seinem Klavierspiel noch analoge Sampleklänge vom Mellotron beisteuert, einem elektroakustischen Tasteninstrument, das in der Popmusik der 60er und 70er Jahre eingesetzt wurde, von den Beatles etwa, Pink Floyd und Led Zeppelin. Es macht sich aber auch gut, wenn - so wie hier- avancierter Jazz gespielt wird, dessen enorme, erzählerische Kraft sich aus einer hohen harmonischen und rhythmischen Komplexität heraus entfaltet. Diese Musik leuchtet, sie hebt ab und bleibt dabei immer griffig, sie singt und schwebt, groovt und swingt, öffnet permanent neue Räume und Erfahrungsebenen. Und sie berührt in besonderer Weise beim Opener des Albums, der - von der großen Klanglyrikerin Norma Winstone gesungen und dabei umhüllt von Percy Pursgloves Spiel - zur traumverloren schönen Poesie wird.
Bildquelle: Blue Note Records Sein Saxophonklang kann ungemein viele Farbschattierungen annehmen: weich wie Samt, schneidend scharf, verschattet-expressiv. Und die Töne haben oft etwas von einer Modelliermasse, die aus sich selbst heraus immer wieder neue Formen annimmt. Der 1980 in Houston, Texas, geborene Walter Smith III hat mit Jazzgrößen von Herbie Hancock bis Ambrose Akinmusire gespielt, mit Pop-Bands wie "Destiny’s Child" und Entertainern wie Michael Bublé. Ein Begehrter mit Feingefühl am Mundstück. Dieser Flexible ist aber auch jemand mit einem eigenen Kopf. Und sein soeben beim Label Blue Note erschienenes Album "Return to Casual" gehört zu jenen, die ganz schnell mit einer bezwingenden, fein gearbeiteten Schönheit gefangen nehmen. Mit so hervorragenden Mitmusikern wie Pianist Taylor Eigsti (Grammy-Gewinner 2022), Bassist Harish Raghavan, Drummer Kendrick Scott und Gitarrist Matt Stevens schafft er einen Gruppen-Sound, der von Transparenz und Spannkraft zugleich geprägt ist - und der die geschmeidig weit ausholenden Soli von Walter Smith III selbst oder auch Gästen wie dem Trompeter Ambrose Akinmusire in federnder Luftigkeit trägt. Eine Musik, die dennoch nie ins Harmlos-Gefälle abgleitet - das verhindert schon die feinnervige Interaktion der Beteiligten, die auch Kanten und Energie-Ballungen nicht scheuen. Traumhaft ist das von Singer-Songwriterin Kate Bush geliehene Stück "Mother Stands for Comfort": Jazz, der mit seiner besonderen Wärme auch Hörer:innen berühren dürfte, die sonst die Kunst der Blue Notes und der ausdrucksvollen Saxophone eher scheuen.
Bildquelle: Whirlwind Recordings "Ich habe die coolste Rolle in der Band, ich kann Melodien spielen, ich kann aber auch die Bass-Funktion übernehmen", das sagte Baritonsaxophonistin Kira Linn, Jahrgang 1993 aus Wiesbaden, im Interview mit BR-KLASSIK. Alles ist möglich mit dem tiefen Saxophon, das ihr Hauptinstrument ist. Eine coole Musik hat sie auch mit ihrem "Linntett" für ihr aktuelles Album "Illusion" aufgenommen. Sie pendelt die ganze Zeit hin und her, zwischen druckvollem Electropop und swingendem Zusammenklang von Alt-, Tenor- und Baritonsaxophon, zwischen spannungsreichen Improvisationen mit großem Freiheitsdrang und verspielt-frickeligen Computerspiel-Sounds. Genau das Unentschiedene ist der große Reiz von "Illusion". Die Musik des "Linntetts" für Klavier sowie Synthesizer, Bass, Schlagzeug und drei Saxophone, mal um Querflöte, Bassklarinette oder Sopransaxophon erweitert, will und muss sich nicht entschieden. Die diversen und gleichberechtigten Einflüsse Kira Linns werden hier zusammengebracht, ohne dass sie als Komponistin und Arrangeurin auf Homogenität achten muss. Diversität und Gleichberechtigung sind auch Themen einiger Gesangsstücke. Die Saxophonistin hat sich getraut, mit ihrer Stimme direkt Botschaften zu vermitteln. Das ist wichtig und richtig, die Musik funktioniert aber auch ohne den thematischen Background. Seit 2016 gibt es das "Linntett" und das Vertrauen innerhalb des Sextetts ist spürbar, immer wieder gibt es viel Freiraum für subtil-energetische Soli, die "Illusion" neben den schillernden Kompositionen sehr hörenswert machen.