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NEUE JAZZ-ALBEN, VORGESTELLT IM GESPRÄCH - Vol. 41 Hören wir Gutes und reden darüber!

Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer überraschen sich und Sie mit aktuellen Jazzalben. Dieses Format wurde mit dem Deutschen Radiopreis 2022 als "Beste Sendung" ausgezeichnet. Hier ist die 41. Ausgabe von "Hören wir Gutes und reden darüber".

Cover: Out of/Into - Motion I | Bildquelle: Blue Note Records

Bildquelle: Blue Note Records

"Hören wir Gutes und reden darüber, Vol. 41".
In dieser Ausgabe von "ARD Jazz. Spotlight" haben sich Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer zum einundvierzigsten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende drei Alben wurde in der Sendung gesprochen.

Out of/Into: "motion I" (Blue Note Records)

"Out of/Into". Der Bandname mag nicht direkt ins Ohr gehen - die Musik aus dem Debütalbum dieses amerikanischen Quintetts tut es auf jeden Fall. Sie ist elektrisierend. Vom ersten Ton an ist klar: hier beherrschen alle das swingende Vokabular der Jazztradition und bauen darauf ihre ganz eigene Interpretation der großen afro-amerikanischen Musik-Errungenschaft namens Jazz auf. Und zugleich huldigt die Band dabei insbesondere den vielen Stars dieses Genres, die in den vergangenen 85 Jahren Platten für das legendäre Label Blue Note aufgenommen haben. Schlagzeuger Kendrick Scott, Bassist Matt Brewer, Pianist Gerald Clayton, Mallet-Spieler Joel Ross und Altsaxophonist Immanuel Wilkins sind die aktuellen "Blue Note All Stars". Der älteste von ihnen ist 44, der jüngste 27 Jahre alt. Sie alle haben internationales Renommée als Bandleader, Komponisten und begehrte Sidemen. Um das Label-Jubiläum zu feiern, wurden sie 2024 für zwei Monate auf Tour geschickt und entschlossen sich nach 40 gemeinsamen Konzerten, bei denen sie sich laut Gerald Clayton gegenseitig immer weiter spielerisch hochgepuscht und gleichzeitig tiefer in die Musik hineinbegeben hätten, ein Studioalbum aufzunehmen. Sieben Stücke von vier Bandmitgliedern sind darauf, und sie alle fesseln mit einer musikalischen Rhetorik, die ein Höchstmaß an Energie mit einem Höchstmaß an Feinstruktur verbindet. Und wenn sich dazu noch über dichtverwobene Rhythmik und raffinierte harmonische Geflechte die Akteure zu solistischen Höhenflügen aufschwingen, wünscht man sich, dass "motion I" das erste von vielen weiteren Alben dieser stellaren Gruppe sein möge.

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Rolf Kühn: "Fearless" (MPS)

Cover: Rolf Kühn - Fearless | Bildquelle: MPS Bildquelle: MPS Der deutsche Klarinettist Rolf Kühn hatte den Atem für eine besonders lange Karriere: Über 70 Jahre umspannte sie - und Stationen wie ein Engagement bei dem Weltstar Benny Goodman Ende der 1950er Jahre in den USA. Noch wenige Wochen, bevor er im August 2022 starb, stand Rolf Kühn auf der Bühne und machte Studio-Aufnahmen. Vom Juni 2022 stammen die Einspielungen, die jetzt (am 6. Dezember 2024) auf dem Album "Fearless" als Kühns "Last Recording" veröffentlicht wurden ("Fearless" ist eine der möglichen Übersetzungen des deutschen Worts "kühn" ins Englische). Das Cover in leuchtendem Orange zeigt den schwarz gekleideten Rolf Kühn von hinten, wie er in eine helle Ferne blickt - in seiner linken, am Körper angelegten Hand hält er sein Instrument. Ein symbolstarkes Bild - für ein würdiges Album. Die Musik darauf dokumentiert Rolf Kühn in der beeindruckenden Form, in der Fans ihn auch im hohen Alter kannten: scharf umrissener, voller Ton, geradlinig, direkt, ohne jede Süßlichkeit, dennoch mit sehr viel Wärme. Mit diesem präsenten, klaren und völlig unverwechselbaren Klang ist  Kühn hier in vertrackt-witzigen Eigenkompositionen wie dem Titelstück zu hören, aber auch in Balladenklassikern wie Bernsteins "Somewhere" und Eric Claptons traurigem Meisterstück "Tears in Heaven". Gerade das Clapton-Stück birgt die Gefahr, es zu sentimental zu spielen - oder aber blass zu bleiben gegenüber dem Original. Doch Rolf Kühn machte sich die Melodie des Stücks hier so souverän-feinfühlig zu eigen, dass sie zum stilvoll-ergreifenden Klarinettengesang wurde. Lisa Wulff am Kontrabass, Frank Chastenier am Klavier und Tupac Mantilla an Schlagzeug und Percussion tragen die Klarinettenstimme wie auf Händen, und ein im Nachhinein dazu aufgenommenes Streichquartett (Cuareim Quartet) im Arrangement von Jörg Achim Keller erweist sich in diesem und gut dosierten anderen Momenten des Albums als geschmackvoll. Rolf Kühn selbst hatte sich das Streichquartett 2022 als Zutat gewünscht. Sehr bewegend, diese Ikone des deutschen Jazz noch einmal in der Frische und Intimität der Einspielungen auf diesem mit viel Fingerspitzengefühl gestalteten Album zu hören!

Julie Campiche Quartet & Capella Jenensis: "Transitions" (nWog Records)

Cover: Julie Campiche Quartet & Capella Jenensis - Transitions | Bildquelle: nWog Records Bildquelle: nWog Records Die Harfe ist im Jazz immer noch eine Ausnahmeerscheinung. Nur wenige Menschen sind mit diesem Instrument in der improvisierten Musik bekannt und berühmt geworden: Alice Coltrane, Edmar Castañeda, Kathrin Pechlof, Brandee Younger und natürlich auch die Schweizerin Julie Campiche. Bei ihr wird das klassische Instrument mit den vielen Saiten oft mit elektronischen Effekten erweitert und sie spielt mit ihrem Quartett einen kantig-groovenden Jazz mit sehr moderner Klanganmutung. Wenn das hervorragend eingespielte Julie Campiche Quartet nun auf Blockflöte, Cembalo und zwei Viole da Gamba trifft, entsteht eine Musik, die sowieso alle Genregrenzen sprengt. "Transitions" heißt das neue Album des Julie Campiche Quartets mit der Capella Jenesis, einem Barockensemble aus Thüringen. "Übergänge" zwischen Jazz und Barockmusik, zwischen Notiertem und Improvisiertem schaffen diese acht Musiker:innen völlig organisch. Blockflöte und Sopransaxophon verschmelzen klanglich, die Harfe und das Cembalo reiben sich tonal lustvoll aneinander. Die Streichinstrumente Kontrabass und Viola da Gamba liefern mal süffige Melodien, mal das satte Klang-Fundament. Das Schlagzeug untermalt die Musik immer wieder mit tiefen Trommelakzenten, kann aber auch mit druckvollen Grooves für herrlichen Drive sorgen. Eine rundum gelungende Kombination von Jazz und Klassik: "Transitions" vom Julie Campiche Quartet und der Capella Jenesis.

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