Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer überraschen sich und Sie mit aktuellen Jazzalben. Dieses Format wurde mit dem Deutschen Radiopreis 2022 als "Beste Sendung" ausgezeichnet. Hier ist die 42. Ausgabe von "Hören wir Gutes und reden darüber".
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27.01.2025
ARD Jazz. Spotlight: Hören wir Gutes und reden darüber!
"Hören wir Gutes und reden darüber, Vol. 42".
In dieser Ausgabe von "ARD Jazz. Spotlight" haben sich Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer zum zweiundvierzigsten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende drei Alben wurde in der Sendung gesprochen.
Diese Klänge haben einen weiten Horizont, das ist beim ersten Ton spürbar. Hier schimmert eine ältere Musik durch, aber welche?
So ganz offensichtlich ist es erstmal nicht, wenn Pianistin Makiko Hirabayashi mit ihrem Quartett "Weavers" anfängt zu spielen, welche Inspiration hinter diesen Kompositionen steckt. Aber von Note zu Note wird es deutlicher, es ist klassische Musik, konkret Barockstücke von Georg Friedrich Händel, allerdings verarbeitet Hirabayashi die Werke nie plakativ und erwartbar, sie macht aus Händel mit ganz viel Respekt und höchster Musikalität Hirabayashi. Selten ist die Verarbeitung von klassischen Werken im Jazz so geglückt wie auf "Gifts", dem neuen Album der japanischen Pianistin, Jahrgang 1966, die seit Jahrzehnten in Dänemark lebt und ihrem Quartett mit Saxophonist Fredrik Lundin, Kontrabassist Thommy Andersson und Schlagzeuger Bjørn Heebøll.
Für die Händelfestspiele in Halle im Jahr 2023 entstanden die Stücke, aber Hirabayashi besann sich dabei auf ihre Kindheit. Die Mutter der Pianistin sang in einem Chor, der jedes Jahr Händels Oratorium "Messias" aufführte. Dementsprechend vertraut ist die Pianistin mit den Klängen des Barockkomponisten. Mal schimmern die Originale nur sanft durch, etwa die Arie "Ombra mai fu", mal wie im Hornthema der Wassermusik, wird das Original konkret aufgegriffen. Immer aber strahlt das Ensemble eine Spiellust und ein Höchstmaß an kommunikativem Entdeckungsgeist aus. Ein herausragendes Album ist "Gifts" von Makiko Hirabayashis Quartett "Weaver" geworden und schon Anfang 2025 ein Favorit für das Album des Jahres.
Bildquelle: ECM Records Die Kompositionen der Pianistin und Bandleaderin Julia Hülsmann entfalten ihre faszinierende Wirkung durch eine ganz besonders fein austarierte Balance. In ihr korrespondiert die Klangentwicklung in den Harmonien mit dem geschmeidigen Fluss von subtilen Rhythmusmustern. Hau-Ruck Effekte kommen hier nicht vor. Ritardandi und Szenenwechsel innerhalb der Stücke aber schon, und der swingende Puls der Jazzgeschichte - mal als fast traumhaft wirkendes Echo, mal ganz zupackend gegenwärtig. Auch auf ihrem neunten Album für das Label ECM liegt die bestechende Stärke von Julia Hülsmanns langjährigem Trio und seinen Gästen in der subtilen Ausgestaltung einer überlegten und genau konzipierten Musik, die von tiefer Empfindung getragen wird. Fünf Kompositionen der Pianistin, je zwei von Bassist Marc Muellbauer und Schlagzeuger Heinrich Koebberling und eine des Saxophonisten Uli Kempendorff, der nun zum dritten Mal mit dem Trio im Studio war, ergeben ein vielfarbiges Wechselspiel innerhalb einer subtil abgestimmten, musikalischen Dramaturgie über die gesamte Albumlänge. In der spielt als weiteres Glanzlicht im Ensemble und als Solistin bei fünf Stücken zudem die norwegische Trompeterin Hildegunn Øiseth eine wichtige Rolle. Und sie verleiht dem Album eine ganz besondere Klangfarbe mit ihrem virtuosen, herrlich gesanglichen Spiel auf dem Bukkehorn, einem Ziegenhorn, das schon vor langer Zeit von den Hirtinnen in ihrer Heimat vom reinen Signalhorn zu einem Musikinstrument umgearbeitet wurde. Was diese Bandbesetzung "Under the surface" - unter der Oberfläche also, gefunden hat und in ihrer Musik hörbar macht, spendet Ruhe und Lebendigkeit.
Joachim Kühn: "Échappée" (Intakt Records)
Bildquelle: Intakt Records Was für eine Energie! Der Pianist Joachim Kühn, Deutschlands vermutlich berühmtester lebender Jazzmusiker, hat - mit 80 Jahren - erst vor kurzem ein hervorragendes Album mit seinem neuen "French Trio" vorgelegt. Und nun folgt ein Doppelalbum mit Solo-Aufnahmen - bei einer für ihn neuen Plattenfirma, dem Schweizer Label intakt. In 13 Stücken lässt der Jazzmusiker sein einzigartig klares und konturenscharfes Klavierspiel aufblühen, und die Stücke dieses Albums künden in vielen Facetten von der Liebe zur unbegrenzten Ausdrucksfreiheit. Da gibt es strahlende Passagen voller kristallklarer Scharfkantigkeit ("Höre und sehe"), eruptiv-ruppige Augenblicke ("Hunting") und eine fein leuchtende Liebeserklärung ("Renata", für seine Frau). Das längste Stück ist die hingebungsvoll-aufwühlende Hommage an seinen Bruder, den 2022 verstorbenen Klarinettisten Rolf Kühn ("My Long Life with Brother Rolf"). Dieser Bruder spielte Joachim Kühn einst Jazz vor, als der Jüngere noch im Kinderwagen saß, und war viele Jahrzehnte ein wichtiger musikalischer und menschlicher Bezugspunkt und Partner. Rolf Kühn lebte bereits lange im Westen, als der in Leipzig geborene Joachim Kühn 1966 nach einem Wettbewerb nicht mehr in die DDR zurückkehrte. Beide spielten oft und viel und sehr intensiv zusammen. Die Stücke auf "Échappée" (entwischt, geflüchtet) spielte Joachim Kühn in seinem Heimstudio auf der Insel Ibiza ein - in Momenten offenbar besonderer Inspiriertheit. Es ist Stück für Stück Musik, die keine Kompromisse macht, die radikal eigen ist, die keine Sekunde Harmlosigkeit zulässt. Es ist die - leuchtende und wetterleuchtende - Musik eines nie genügsamen, voller junger Energie steckenden Klavier-Unikats. Entwischt ist hier die Musik (daher die weibliche Form "Échapée"): vor der Gefahr, nach 60 Jahren einer Karriere gemütlich zu werden.