Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer überraschen sich und Sie mit aktuellen Jazzalben. Dieses Format wurde mit dem Deutschen Radiopreis 2022 als "Beste Sendung" ausgezeichnet. Hier ist die 40. Ausgabe von "Hören wir Gutes und reden darüber".
Bildquelle: ECM Records
18.11.2024
ARD Jazz. Spotlight: Hören wir Gutes und reden darüber!, Vol. 40
"Hören wir Gutes und reden darüber, Vol. 40".
In dieser Ausgabe von "ARD Jazz. Spotlight" haben sich Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer zum vierzigsten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende drei Alben wurde in der Sendung gesprochen.
Eine seltene Kombination: So wie hier trafen die drei nur zu einem einzigen Konzert aufeinander. Mit demselben Bassisten, aber einem anderen Schlagzeuger, nämlich Jack DeJohnette, spielte Keith Jarrett vier Jahrzehnte lang im Trio. Und mit dem Schlagzeuger Paul Motian hatte er lange vorher schon Konzerte gegeben, im Trio und im Quartett, aber immer mit einem anderen Bassisten als hier. Am 16. September 1992 spielten sie in einem Club, in dem Keith Jarrett bereits als 16-Jähriger Erfahrungen als Jazzmusiker sammelte: dem "Deer Head Inn", gelegen im Bundesstaat Pennsylvania, nicht weit von Keith Jarretts Geburtsort entfernt. 1994 erschien bereits der erste Teil dieses ungewöhnlichen Mitschnitts ("At The Deer Head Inn"). Genau dreißig Jahre später nun der zweite. Acht Stücke, die sofort eine besonders innige Schönheit entfalten, sind da zu hören. Lyrische Glanznummern wie der Gershwin-Klassiker "How long has this been going on", "I fall in love too easily" und "Someday my prince will come", aber auch ein kantiger Thelonious-Monk-Evergreen wie "Straight no chaser". Ein schlafwandlerisch sicheres gegenseitiges Verständnis: Der exzentrische Melodiker Jarrett, der kraftvoll geschmeidige Bassist Peacock und der auf ungemein leise Art expressive Schlagzeuger Paul Motian ziehen die Zuhörenden sofort in eine warmtönende Intensität hinein. Fast kann man sich die intime Stimmung in jenem Hotel am Rande des Delaware Water Gap vorstellen, wenn man die Aufnahmen hört. "Eine warme, feucht-regnerische, neblige Herbstnacht" in den Pocono Mountains schildert Jarrett im Booklet-Text. Bei einer ausgedehnten Version des Nat-Adderley-Klassikers "The Old Country" schuf das Trio einen bluesigen Sog. Allein diesen Moment in einer Aufnahme noch einmal erspüren zu können, ist ein großes Jazz-Erlebnis. Eine Zeitreise mit zeitlosem Sound.
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Bildquelle: Enja Yellowbird
Hier knirscht es. Es brodelt, es wummert und ächzt. Wie ein alter Baumstamm, der unter klirrender Kälte auseinanderbricht. Klänge, die Bilder vor dem inneren Auge entstehen lassen: weite, karge, schroffe Landschaften. Aber diese Musik hat auch einen heißen Kern, ein inneres Feuer. Sie wärmt wie ein wohliger Kachelofen. ADHD heißt das Quartett, benannt nach einer psychischen Disposition. Stets nervös nach Ordnung suchend sind Menschen mit dieser Disposition. Aus südlichen Gefilden kommen die Menschen nicht, die solche Klänge produzieren, aus dem Norden kommen sie, aus Island.
2008 gründeten die Brüder Saxophonist Óskar und Gitarrist/Bassist Ómar Guðjónsson diese Band und mittlerweile ist ihr neuntes Album erschienen. Mit den Brüdern spielen darauf Keyboarder Thómas Jónsson und Schlagzeuger Magnús Trygvason Eliassen. Alle Alben tragen schlicht Nummer. "#9" zeigt den typischen ADHD-Sound: Es gibt hymnische, fast kitschige Melodien, die immer mit einem entspannten Augenzwinkern daherkommen. Es gibt aber auch wuchtig-rockige Klangwände, erzeugt von rauer E-Gitarre, fauchender Hammondorgel, rumpelndem Schlagzeug und einem Saxophon, das mit schmirgelnder Stimme nordische Weisen erzählt. Mal erinnert die Musik an den Soundtrack eines Italowesterns, mal klingt sie nach düsterem Science-Fiction-Thriller oder nach absurdem Roadmovie. Augen zu und wegträumen, das geht in dunklen Novembernächten besonders gut mit dem Sound von ADHD.
Bildquelle: Flexatonic Records Der amerikanische Schlagzeuger und Komponist John Hollenbeck, Jahrgang 1968, ist ein außergewöhnlich kreativer und produktiver Musiker, der immer eine ganze Reihe von Aktivitäten parallel laufen zu haben scheint - und das schon seit Beginn der 90er Jahre. Legendär und haltbar ist das von ihm geleitete Claudia Quintet, auch sein Refuge Trio mit Vokalist Theo Bleckmann und Keyboarder Gary Versace ist ein Begriff, und die Alben seines Large Ensembles - besonders die drei mit den schönen Titeln "Songs I like/ we like/ you like a lot" - beeindrucken nachhaltig. Im November 2024 stellte der ehemalige Bob Brookmeyer Schüler beim Jazzfest Berlin sein neues Projekt GEORGE vor, und jetzt ist seine erste Produktion mit der NDR Big Band erschienen. Bei elf seiner zwölf Kompositionen darauf greift John Hollenbeck auf das Prinzip des barocken Concerto Grosso zurück, wenn er ein kleines Ensemble mit Patricia Brennan und Matt Moran an den Mallets, Marcio Doctor an der Percussion und sich selbst am Drumset mit einem großen Jazzorchester kombiniert. Eine weitere historische Praxis, auf die er sich bezieht, reicht noch weiter zurück: bis ins Mittelalter. Da begann man, Einzeltöne von Melodielinien im schnellen Wechsel von mehreren Musizierenden spielen zu lassen, und nannte diese Methode des Töne-Zusammensetzens "Hoquetus". "Colouring Hockets" heißt John Hollenbecks neues Album, auf dem immens groovende und dabei außerordentlich komplexe rhythmische Muster in ähnlich ineinandergreifender Weise erstellt werden. Sie verbinden sich mit den herrlich leuchtenden, instrumentalen Klangfarben des Orchesters zu einer packenden Musik, in der "brain and body" den Jazz tanzen lassen.