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NEUE JAZZ-ALBEN, VORGESTELLT IM GESPRÄCH - Vol. 44 Hören wir Gutes und reden darüber

Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer überraschen sich und Sie mit aktuellen Jazzalben. Dieses Format wurde mit dem Deutschen Radiopreis 2022 als "Beste Sendung" ausgezeichnet. Hier ist die 44. Ausgabe von "Hören wir Gutes und reden darüber".

Cover - Masako Ohta & Matthias Lindermayr: Nozomi | Bildquelle: Squama Records

Bildquelle: Squama Records

"Hören wir Gutes und reden darüber, Vol. 44".
In dieser Ausgabe von "ARD Jazz. Spotlight" haben sich Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer zum vierundvierzigsten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende drei Alben wurde in der Sendung gesprochen.

Masako Ohta / Matthias Lindermayr: "Nozomi" (Squama)

Selten erzeugen so wenige Töne so viel Atmosphäre wie hier. Das Duo der Pianistin Masako Ohta und des Trompeters Matthias Lindermayr macht Sparsamkeit der Mittel zu einer ungemein ergiebigen Quelle feiner musikalischer Nuancen. Die 1960 in Japan geborene Wahl-Münchnerin und ihr 1987 in München geborener Duo-Partner spielen auf ihrem zweiten gemeinsamen Album Stücke von großem, leisem Zauber. "Nozomi" bedeutet "Hoffnung" oder auch "Wunsch" und passt damit mindestens vom Titel her zu bedrohlichen Zeiten. Die Musik bietet ein Höchstmaß an achtsamer, inniger Verständigung. Kein einziger Takt ist hier ein tönendes Auftrumpfen, sondern im Gegenteil: jeder ein feines Aufeinander-Eingehen. Dadurch entsteht ein schimmernder Zauber der Melodien und Zwischentöne. Schon allein verblüffend: die vielen Klangfarben, die die Trompete mit mal mehr, mal weniger hörbarer Luft, mit sanft angeschliffenen, gebogenen, zu hintergründigem Quengeln verfremdeten und dann plötzlich leuchtend-klaren sowie bald wieder kunstvoll eingedunkelten Tönen schafft; ein ständiges musikalisches Gestaltwandeln bei allergrößter Ruhe. Doch ebenso erstaunlich: die vielen Schattierungen scheinbar einfacher Akkorde und Tonfolgen im Klavier. Dieses Duo beherrscht die Kunst des wie selbstverständlichen Ineinander-Aufgehens. Lauter bezwingende Eigenkompositionen Matthias Lindermayrs sowie ein von Ryuichi Sakamoto geliehener, etwas zu gleitfähiger Ohrwurm sind das Repertoire des Duos auf diesem Album: Musik als sanftes, aber insgesamt nie harmlos-gefälliges Angebot, die Ohren besonders weit aufzusperren.

Noah Preminger: "Ballads" (Chill Tone)

Cover - Noah Preminger: Ballads | Bildquelle: Chill Tone Bildquelle: Chill Tone Streit, intensive Auseinandersetzungen, Diskussionen gehören zur Demokratie dazu - im schlechten Fall verhärten sich die Fronten, im besten wird eine Lösung gefunden. Demokratie ist laut und heftig! Könnte man meinen, wenn man sich politische Debatten anschaut. Demokratie kann aber auch leise, versöhnlich und geschmeidig-schön sein, zumindest bei Tenorsaxophonist Noah Preminger. Der Amerikaner, Jahrgang 1986, ist in der New Yorker Szene aktiv und hat einen lyrisch warmen Tenorsaxophonton. Besonders schön kann man diesen Ton in seiner Komposition "Democracy" hören, zu finden auf seinem aktuellen Album "Ballads". Zusammen mit Pianist Julian Shore, Bassist Kim Cass und Schlagzeuger Allan Mednard feiert Preminger die Ruhe und Langsamkeit auf diesem Album. Neben seinen äußerst stimmungsvollen Eigenkompositionen finden sich auf dem Album der Gershwin-Klassiker "Someone to watch over me" und das Stück "Carry me Ohio" des Singer/Songwriters Sun Kil Moon. Preminger hörte dieses Stück immer, als sein heute zweijähriges Kind noch im Bauch der Mutter war. Die trancehafte Melodie faszinierte den Saxophonisten und das ist zu spüren, wenn er diesen Song zum hinreißenden Lied ohne Worte macht. "Ballads" von Noah Preminger ist der perfekte Balsam für die Ohren, wenn die Welt mal wieder viel zu laut ist.

Artemis: "Arboresque" (Blue Note)

Cover - Artemis: Arboresque | Bildquelle: Blue Note Records Bildquelle: Blue Note Records Aus feinziselierter Tongebung und höchster Arrangement-Kunst erwächst eine kraftvoll und dynamisch swingende Musik, die an zeitlos gültige   Traditionslinien anknüpft. Das ist der Eindruck, der sich bei den ersten Takten der Band Artemis einstellt und bestehen bleibt. Die Begründerin des Quintetts ist die kanadische Pianistin und Komponistin Renee Rosnes, Jahrgang 1962. Sie hat einen starken Bezug zu und viel Spielerfahrung mit Musikern, die in den 1960er Jahren jugendliche Stars der amerikanischen Szene waren. Darunter: Joe Henderson, Bobby Hutcherson, Bassist Ron Carter, zu dessen Foursight Quartet sie gehört und Saxophonist Wayne Shorter, mit dem sie Ende der 80er Jahre spielte. Seine Komposition "Footprints" in ihrem Arrangement ist eines der großen Highlights auf dem Album, das reichlich musikalische Höhepunkt vorhält. Für die sorgen mit ihr zusammen die kanadische Trompeterin Ingrid Jensen, die amerikanische Saxophonistin Nicole Glover, die japanische Bassistin Noriko Ueda und die Ur-Brooklyner Schlagzeugerin Alison Miller. Sie bilden die aktuelle Besetzung der Band, die Renee Rosnes 2016 zum Weltfrauentag zunächst als Septett gegründet hatte. Zum aktuellen, dritten Album hat jede der Musikerinnen ein Stück beigesteuert, drei weitere - darunter auch der Pop-Hit "What the world needs now" komplettieren das Album. "Arboresque" (einem Baum gleich) heißt es, weil die eigenen Stücke darauf von der Natur, und dem, was man in ihr erleben kann, inspiriert sind. Eine Querverbindung könnte man aber auch zu den unterschiedlichen Modern Jazz-Zweigen herstellen, die in den 1960er Jahren aus dem Bebop und der Hard Bop Ära erwachsen sind. Sie beflügeln als deutlicher, zeitlos gültiger Einfluss die Musik der Band Artemis, deren Namenspatronin die griechische Göttin der Jagd und des Waldes ist.

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