Ach, nicht schon wieder die "Vier Jahreszeiten"! Aber immerhin prangt auf dem Cover, mit seinem Bogen hingebungsvoll eine unsichtbare Geige spielend, Julien Chauvin. Und der hat mit seinem Ensemble Le Concert de la Loge in letzter Zeit schon öfters aufhorchen lassen.
Bildquelle: Alpha Classics
Ach, nicht schon wieder die "Vier Jahreszeiten"! Eigentlich wollte ich Ihnen heute was ganz anderes vorstellen. Ein neuentdecktes Jesuiten-Oratorium zum Beispiel, oder ein völlig unbekanntes mittelalterliches Osterspiel. Aber dann höre ich beim Sortieren der Neuerscheinungen doch auch mal ganz kurz in das pechschwarze Vivaldi-Album rein, auch wenn keiner, wirklich keiner noch eine Einspielung der "Vier Jahreszeiten" braucht. Aber immerhin prangt auf dem Cover, mit seinem Bogen hingebungsvoll eine unsichtbare Geige spielend, Julien Chauvin. Und der hat mit seinem Ensemble Le Concert de la Loge in letzter Zeit schon öfters aufhorchen lassen.
Und wow – es zieht mich auch hier sofort hinein. Als hätte mich jemand plötzlich mitten in ein packendes Live-Konzert gebeamt. Vivaldi unter Strom! Schon lange habe ich die "Vier Jahreszeiten" nicht mehr so lebendig, so impulsiv, so musikantisch gehört. Da gibt es immer wieder verwegen effektvolle Temposchwankungen, da gibt es knisternde Hochspannung wie im Krimi und manchmal beginnt das gerade mal achtköpfige Ensemble leichtfüßig durch die Lüfte zu tanzen.
Eine Aufnahme, die überbordet vor vibrierender Spontaneität. Zwar müsste ich jetzt eigentlich die Nase rümpfen über die eine oder andere verhuschte Note, müsste auch einschränken, dass diese Interpretation zwar vor Musizierlust sprüht, aber keine grundlegend neuen Erkenntnisse bringt. Aber mal ehrlich – verliebt man sich nicht manchmal trotz, sondern gerade wegen der kleinen Makel? Ich jedenfalls bin frisch verliebt – zumal die Zugabe, die Arie "Sovvente il sole", mit butterweicher Stimme gesungen und gesäuselt von Paul-Antoine Bénos-Djian, auch noch zum Heulen schön ist.
Zum Abschluss spielt Julien Chauvin Vivaldis unverwüstlich-überdrehte Folia, übrigens auf einer Geige des Vivaldi-Zeitgenossen Nicola Gagliano, die mit kostbaren Einlegearbeiten verziert ist, seit einem Jahrhundert Schloss Versailles nicht verlassen hat – und auf der einer Legende nach auch Mozart gespielt haben soll. Diese Geschichte ist womöglich geflunkert, eines aber ist wahr: Anders als das Jesuiten-Oratorium und das mittelalterliche Osterspiel werde ich dieses hinreißende Album noch öfters hören!
Antonio Vivaldi
Paul-Antoine Bénos-Dijan
Le Concert de la Loge: Julien Chauvin
Label: alpha classics
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 31. März 2024, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK