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Kostprobe | 05.11.2023 Jaroussky singt vergessene Opernarien

Der französische Countertenor Philippe Jaroussky hat in allerlei Archiven gestöbert und italienische Opernarien des Spätbarock ans Licht gebracht: Packende Musik, zum Teil noch niemals gedruckt, brillant serviert und insofern unbedingt hörenswert.

Bildquelle: Erato

Eigentlich wünscht sich das doch fast jeder: in irgendeinem abgelegenen Archiv in allerlei Mappen und Schachteln kramen, Staub wegpusten – und dann ganz plötzlich, ein vergilbtes Notenmanuskript, nicht zu fassen, der große Coup: Eine verschollene Bach-Kantate sollte es schon sein oder eine unbekannte Mozart-Sinfonie. Gut, dass Träumen erlaubt ist. Und gut auch, dass musikalische Ausgrabungen ein paar Preisklassen niedriger ebenfalls spannend sein können.

Unbekannte Komponisten

Der französische Countertenor Philippe Jaroussky hat sich durch allerlei Bibliotheken gewühlt und seinen Grabungs-Erfolgen nun ein Album gewidmet. Einige dieser "vergessenen Arien" – so heißt die Einspielung – gibt es nur als Autograph, alle sind hier zum ersten Mal aufgenommen. Die Begegnung mit weitgehend unbekannten Komponisten des Spätbarock wie Andrea Bernasconi oder Tommaso Traetta lohnt sich auf jeden Fall. Warum sind sie nur noch wirklichen Spezialisten halbwegs geläufig? Die alte Frage.

Klar: Nicht alles, was Philippe Jaroussky da aus dem Dornröschenschlaf wachgeküsst hat, ist von der ersten bis zur letzten Note pures Gold. Umso beglückender, wenn dazwischen wirkliche Kostbarkeiten leuchten. Die ergreifende Totenklage eines Vaters um seinen Sohn aus einer längst vergessenen Oper des Venezianers Giovanni Battista Ferrandini beispielsweise.

Kunst des großen Atems

Dieses Werk zeigt exemplarisch die kluge Programmauswahl Philippe Jarousskys, der offenbar die Entwicklung seiner Möglichkeiten selbstkritisch beobachtet. In der Tat muss man feststellen, dass der geradezu überirdische silbrige Glanz, der Jarousskys Stimme so außergewöhnlich machte, nicht mehr durchgehend schimmert. Koloraturen funkeln nicht komplett lupenrein, manchmal flackert die Stimme. Gut also, dass er nun nicht mehr auf vokale Zirkusnummern setzt, sondern das in den Ring wirft, was er beherrscht wie kaum ein anderer: Unendliche Bögen mit großem Atem, Nuancen auch im leisesten Innehalten. Und natürlich ist Philippe Jaroussky – in dieser Aufnahme von Julien Chauvin und seinem großartigen Ensemble Le concert de la loge in orchestralen Wohlklang gebettet – ein begnadeter Gestalter großer Affekte. Verletzte Seelen weinen und hysterische Racheschwüre lodern zum Himmel. Eine packende Einspielung also, nicht nur für Jaroussky-Fans, sondern generell für all jene, die Oper lieben – und damit auch das Leben.

Forgotten Arias

Philippe Jaroussky, Countertenor
Le concert de la loge
Julien Chauvin, Leitung
Label: Erato

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 5. November 2023, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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