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Kostprobe | 21.07.2024 Mahlers Sinfonie Nr. 9 auf historischen Instrumenten

Wie alt muss Musik sein, damit sie zur Alten Musik wird? Für manche wirken schon die Beatles uralt, für andere reicht die "Alte Musik" streng vom Mittelalter bis zu Bachs Tod. Doch schon lange gibt sich die Originalklang-Szene damit nicht mehr zufrieden, wendet die Prinzipien der historischen Aufführungspraxis auch auf Bruckner an oder Ravel. Nun hat sich der Dirigent Philipp von Steinaecker, früherer Assistent sowohl von Claudio Abbado als auch von John Eliot Gardiner, an Gustav Mahler gewagt – mit einem Orchester, das auf historischen Instrumenten der Mahler-Zeit spielt.

Bildquelle: Alpha

Sie haben sich jahrelang darauf vorbereitet. Haben auf Ebay recherchiert, Auktionskataloge studiert, auf Dachböden gestöbert und den Fundus von Orchestern durchsucht. Bis sie genau die Instrumente zusammen hatten, die Gustav Mahler einst für die Wiener Hofoper anschaffen ließ: Harfen von Erard, Oboen von Hajek, Fagotte von Heckel, riesige Röhrenglocken aus Florenz.

Uraufführung 1912

Und dann haben sich die 95 Musiker, zur Hälfte junge Stipendiaten der Gustav-Mahler-Akademie Bozen, zur anderen Hälfte erfahrene Mitglieder großer Orchester wie der Staatskapelle Dresden oder des Concertgebouw-Orchesters, angefreundet mit den alten Instrumenten. Haben ihre Spielweisen erkundet, haben staunend ihren Klang entdeckt. Haben, immer auf der Suche nach dem echten Mahler-Sound, auch alte Schellackplatten gehört und die handschriftlichen Spielanweisungen in der Partitur des Dirigenten und Mahler-Freundes Willem Mengelberg entziffert. Das Ziel: Die Neunte sollte so klingen wie bei der Uraufführung 1912.

Ungewohnte Klangwelten

Das Ergebnis: Ein faszinierender Reichtum an Farben! Am deutlichsten sind die Unterschiede zu den modernen Instrumenten vielleicht bei den Holzbläsern: lauter stolze Individualisten, die mit markanter Physiognomie aus dem Orchesterkollektiv herausragen, statt zu einem Einheitsklang zu verschmelzen. Aber auch die Streicher mit ihren Darmsaiten und ihren kleinen Glissandi bei großen Sprüngen oder die schwer seufzenden Blechbläser eröffnen ungewohnte Klangwelten.

Verarbeitung eines Traumas

Für Dirigent Philipp von Steinaecker dreht sich die Neunte Sinfonie weniger um Mahlers eigene Vergänglichkeit als um die Verarbeitung eines Traumas: den Tod der geliebten Tochter Maria Anna. So oder so ein zutiefst existentielles Thema, und so geht von Steinaecker die Sinfonie mit ebenso viel Leidenschaft wie Akribie an. Er leuchtet die feinen Details der Partitur aus, setzt auf Tempokontraste, formt die Noten mit viel Rubato zu einer organischen Klangrede. Besonders gut gelingen ihm die beiden schnellen Sätze: der Ländler oszilliert zwischen Nostalgie und Ironie, die grimmige Burleske schillert in tausend Farben. Schwerer fällt es ihm, in den großen langsamen Sätzen den Spannungsbogen zu halten; aber der ins Jenseitige verlöschende Schluss zerreißt einem nach über 80 Minuten schier das Herz.

Aufnahmen von Mahlers Neunter gibt es wie Sand am Meer. Aber diese hier, aufgenommen in Toblach, also genau dort, wo die Sinfonie 1909 entstand, ist etwas Besonderes. Mit einem bis in die Haarspitzen motivierten Projektorchester stößt sie die Tür weit auf zur Vergangenheit und birgt gerade deshalb ein großes Potential für die Zukunft der Mahler-Interpretation. Ein Meilenstein.

Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 9 auf historischen Instrumenten

Gustav Mahler
Mahler Academy Orchestra: Philipp von Steinaecker (Leitung)
Label: Alpha

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 21. Juli 2024, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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