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Kostprobe | 05.03.2023 Wahnsinn und Glückseligkeit

Christina Pluhars Ensemble "L'Arpeggiata" und Star-Countertenor Philippe Jaroussky widmen sich in einer neuen Aufnahme den Facetten der Liebe – und bauen Brücken von der Barockzeit ins Jetzt.

Bildquelle: © Erato

Mit der Liebe ist das eine höchst merkwürdige Sache. Alle sehnen sich danach, aber es gibt auf Erden wohl kaum jemanden, der im Zusammenhang mit diesem göttlichsten aller Gefühle nicht auch die schlimmsten aller Seelenqualen gelitten hat. Ist dieses unberechenbare Wechselbad menschlicher Regungen nicht eigentlich Wahnsinn, !follie!, wie man in Frankreich, dem Land der Liebe, dazu sagt?

Idyllische Gegenwelten

Mit französischer Musik des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts über und an die Liebe beglückt nun das Dreamteam der Alten Musik: Superstar-Countertenor Philippe Jaroussky und das Ensemble L'Arpeggiata unter der Leitung der unerschöpflich kreativen Christina Pluhar. Zu einer Zeit, als Frankreich und ganz Europa von Kriegen gebeutelt wurden, entstanden in den Pariser Palästen und Salons galante Gegenwelten, maximal entfernt von Aufruhr und Blutvergießen. Damals bedeutende Komponisten wie Pierre Guédron, Robert de Visée oder Michel Lambert steuerten höfische Lieder und Arien in intimer Besetzung bei. Akustischer Reiseproviant für die Flucht auf eine Insel der Glückseligen, wo statt irdischen Feldherren Gott Amor herrscht und großzügig seine Pfeile verschießt.

Barocker Swing

Bei Christina Pluhar und L'Arpeggiata verfügt diese Insel nicht nur über lauschige Haine und allerlei Irrgärten, sondern ganz offensichtlich auch über einen Jazzkeller: Nach bewährter Pluhar-Art fallen dort die Fesseln musikalischer Konvention, wobei – und darin liegt die Kunst – die Grundsätze Historischer Aufführungspraxis nie zu kurz kommen. Barockmusik wird zum Energy-Shot voller Drive und Swing.

Darf man das? Auf jeden Fall! Denn dadurch verlieren die Stücke manche Sprödigkeit. Philippe Jaroussky singt, wen wundert's, hinreißend wie stets, flirtet, jubelt, küsst – und leidet verzweifelt. Passend zum intimen Charakter dieser delikaten Musik kommt L'Arpeggiata dieses Mal mit nur acht Musikern aus, jeder von ihnen ein exquisiter Solist, als Ensemble ein homogener, pulsierender Organismus. "Stimmen erklingen, mehr göttlich als menschlich, die die Sorgen vertreiben und den Kummer zum Schlummern bringen." So heißt es in einem der Lieder. Als hätte der Textdichter diese Aufnahme gehört.

Passacalle de la Follie

Philippe Jaroussky (Countertenor)
L'Arpeggiata
Christina Pluhar (Laute und Leitung)
Label: Erato

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 5. März 2023, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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