Leider wissen wir immer noch viel zu wenig über Joseph Aloys Schmittbaur, einen Komponisten aus Bamberg, der so lange lebte, dass er sowohl Johann Sebastian Bach wie auch Franz Schubert hätte begegnen können. Das Ensemble l'arte del mondo unter der Leitung von Werner Ehrhardt entdeckt diesen musikalischen Franken nun neu.
Bildquelle: deutsche harmonia mundi
Schon klar: Jemand mit 90 ist nicht mehr ganz jung. Heute sind 90-Jährige aber wirklich keine Seltenheit mehr, im Gegenteil. Anders freilich sah das in der Zeit unserer Ur-Ur-Ur-Großeltern aus: Derart hochbetagte Leute galten damals als eine Art von Weltwunder, eine absolut ungewöhnliche und deswegen fast mysteriöse Laune der Natur.
Als Joseph Aloys Schmittbaur 1718 in Bamberg geboren wurde, arbeitete Bach an seinen Brandenburgischen Konzerten. 1809, da verließ Schmittbaur die Erde wieder, hatte Beethoven gerade sein 5. Klavierkonzert vollendet. Richtig gerechnet! Sogar 91 Jahre umfasst diese Lebensspanne – ein für das 18. Jahrhundert geradezu biblisches Phänomen, das noch in einem anderen Punkt äußerst interessant ist: Joseph Aloys Schmittbaurs umfangreiches Œuvre bildet fast das gesamte 18. Jahrhundert und das erste Jahrzehnt des 19. ab. Er hätte also genauso Bach und Händel wie auch Mozart oder dem jungen Franz Schubert begegnen können. Beneidenswert.
Eines der vielen Rätsel der Musikgeschichte: Warum sind die Werke aus Schmittbaurs Feder gleich nach seinem Tod von den Konzertpodien verschwunden und werden erst jetzt nach und nach wiederentdeckt? Warum kennt ihn eigentlich keiner? Wirklich sonderbar. Denn hier geht es um wunderbare, elegante und vor allem außerordentlich gut geschriebene Musik.
Wahrscheinlich erlernte Schmittbaur in Würzburg sein Handwerk, später wirkte er drei Jahre lang als Domkapellmeister in Köln. Von dort ging er nach Karlsruhe, wo er aus der Badischen Hofkapelle ein modernes Orchester formte. All die Herausforderungen seiner erfolgreichen Karriere scheinen ihn jung und frisch gehalten zu haben: mit 85 stand er noch höchst aktiv im Beruf, erst sechs Jahre später musste er dann doch abtreten. Und zwar aufgrund von "Nachlass der Natur", wie eine seltene zeitgenössische Quelle überliefert.
Man möchte die neue Aufnahme von vier der etwa 40 Sinfonien Joseph Aloys Schmittbaurs gar nicht mehr weglegen, sie immer wieder hören, sich jedes Mal an anderen Details freuen und die Energie dieser Musik aufsaugen. Keine Sekunde ist langweilig, nicht zuletzt auch wegen l’arte del mondo, jenem erfolgreichen historisch orientierten Kammerorchester unter der Leitung von Werner Ehrhardt. Es wirft den Farbenreichtum und die Leichtigkeit dieser Musik wie weiche, hüpfende Bälle in den Raum und zeigt immer wieder, dass hier ein Team hervorragender Virtuosen am Werk ist.
Wer Schmittbaur kennenlernen möchte, ist mit dieser Aufnahme bestens gerüstet. Irgendwann muss man schließlich anfangen mit längst fälligen Entdeckungen. Und oft sind es ja gerade die überraschenden Begegnungen, die dann zur großen Liebe werden.
l'arte del mondo
Werner Ehrhardt
Label: deutsche harmonia mundi
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 2. Juli 2023, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK