Die Hydraulis war der antike Vorläufer der heutigen Kirchenorgel. Die Töne der sogenannten Wasserorgel wurden nach dem hydraulischen Prinzip erzeugt. Ein sakrales Instrument war es für die Alten Römer jedoch nicht. Sie untermalten damit blutige Gladiatorenkämpfe und Tierhatzen.
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Festlich und monumental klingt die Silbermannorgel der evangelischen Kirche in Meißenheim. Sie ist eine von rund 50.000 Kirchenorgeln, die es allein in Deutschland gibt. Kein Gottesdienst, keine Taufe und keine Hochzeit, bei der nicht dieses größte und prächtigste aller Instrumente erklänge. Kein anderes Musikinstrument ist so eng mit der Kirche verbunden. Doch wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die Orgel wahrhaft heidnischen Ursprungs ist. Denn ihr Vorläufer, die Hydraulis, wurde in den Arenen der Alten Römer gespielt und diente der musikalischen Untermalung von brutalen Gladiatorenkämpfen oder blutigen Tierhatzen. Wahrscheinlich wurden zu den Orgelklängen auch verfolgte Frühchristen hingemetzelt.
"Ich bin mir sicher, dass man mit einem Zirkusinstrument in der blutigen Erde der Arena nicht Gutes im christlichen Sinn verbunden hat. Es ist ein Witz der Geschichte, meiner Meinung nach, dass ausgerechnet dieses Instrument später zur Königin der Kirchenmusik wurde. Aber es ist auch schön. Denn diese prächtigen Instrumente hätten wir sonst nicht." Justus Willberg
Das sagt der Flötist und Leiter der Weißenburger Musikschule, Justus Willberg. Er zählt zu den weltweit führenden Spezialisten für die Musik der römischen Antike und konzertiert in ganz Europa mit Nachbauten antiker Musikinstrumente. Denn das fränkische Weißenburg liegt am Limes und wurde vor 2.000 Jahren von den Römern als Kastell gegründet. Da liegt die Begeisterung für die Antike nahe. Justus Willberg hat so eine römische Wasserorgel nachgebaut. Dabei orientierte er sich an den Überresten der kleinen Orgel von Aquincum, die bei Ausgrabungen in Budapest entdeckt wurde.
"Wir haben relativ viele Abbildungen von römischen Orgeln. Die sind ungefähr zwischen 2 Metern und 2 Meter 50 groß und haben einen relativ großen Unterbau, wo die Windversorgung drin war. Die, die ich nachgebaut habe, ist eine kleine. Das ist ganz günstig. Wenn wir zu einem Konzert fahren brauchen wir keinen Gabelstapler dazu, sondern können sie ins Autor laden. Das ist jetzt, würde ich sagen, ein Kammermusikörgelchen aus Römischer Zeit." Justus Willberg
Die Hydraulis von Justus Willberg ist knapp anderthalb Meter hoch und besteht aus einem Fundament, einem altarähnlichen Unterbau aus Holz mit der Wassermechanik darin und den relativ kleinen Orgelpfeifen aus Metall obendrauf. 52 sind es insgesamt mit vier Registern. Schon Vitruv hat im 1. Jahrhundert vor Christi ziemlich genau beschrieben, wie so eine Wasserorgel funktioniert, nämlich nach dem hydraulischen Prinzip.
"Zur Römischen Zeit war es so, dass man den Luftdruck mit Wasser erzeugt hat. Und zwar muss man sich das so vorstellen, dass man eine Luftblase im Wasser erzeugt hat. Da hat man hineingepumpt und diese vergrößert. Und der Druck des Wassers hat dann, ähnlich wie der Arm des Dudelsackspielers heute, die Luft konstant in die Orgel geleitet." Justus Willberg
Damit Justus Willberg die Hydraulis spielen kann, braucht er zwei Gehilfen. Diese sogenannten Kalkanten bedienen die rechts und links am Unterbau angebrachten Kolbenpumpen. Damit pumpen sie kontinuierlich Luft in den mit etwa 50 Liter Wasser gefüllten Unterbau. Der komplizierte Wasserantrieb wurde ab dem 3. Jahrhundert nach Christi dann mehr und mehr durch einen Antrieb mit Blasebälgen ersetzt. Und über den Umweg Byzanz wurde die profane römische Zirkusorgel dann im Mittelalter zur sakralen Kirchenorgel.
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" am 15. Mai 2022, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK