Alles Vergangene ist vergangen. Ob das nun Musik ist, die 500 Jahre alt ist oder nur drei Wochen – für Jos von Immerseel ist der Ansatzpunkt, wie diese Werke zu interpretieren seien, stets derselbe.
Bildquelle: © David Samyn
Die Fantasie für Orchester "Prélude à l'après-midi d'un faune" von Claude Debussy, komponiert Ende des 19. Jahrhunderts, gespielt von Anima Eterna unter der Leitung von Jos van Immerseel. Soll das nun "Alte Musik" sein?!
"Von dem Moment an, dass man realisiert, dass Alte Musik ausgeführt werden kann mit anderen als mit modernen Mitteln sitzt man in einer Denkbewegung, wo man versucht, den ursprünglichen Zusammenhang wieder zu finden zwischen dem Komponisten, der es niedergeschrieben hat, dem Klang, der Ausführung und der Hörer. Ob es dann eigentlich um Guillaume de Machaut, Lassus oder Bach geht oder es geht um Gershwin - prinzipiell bleibt das Problem das Gleiche. Es ist alles Musik, die nicht aus unserer Zeit ist, es ist eigentlich alles Alte Musik. Es war ein Moment in den 70er Jahren, da hat man gedacht, Alte Musik endet um 1600. Bisschen später hat man gesagt, nein, 1750, und jetzt denkt man ein bisschen 1820. Für mich endet Alte Musik da, wo die Konventionen sich geändert haben, das heißt eigentlich gestern."
Es ist ein radikalter Ansatz, den Jos van Immerseel da hat, und er bedeutet, dass auch Debussy "Alte Musik" ist. Und Stockhausen, Henze und Rihm. Für einen Musiker wie Immerseel passt da der Begriff der "Historisch informierten Aufführungspraxis" wohl besser. Was meint, die Musik jeweils mit allem verfügbaren Hintergrundwissen aufzuführen und mit den zur Kompositionszeit üblichen Instrumenten.
Studiert hat der Belgier Jos van Immerseel Klavier, Cembalo, Orgel und dann auch noch Dirigieren. Zunächst war er hauptsächlich als Cembalist zu hören, bald arbeitete er sich vor ins 19. Jahrhundert und spielte viel auf dem Hammerflügel. 1985 gründete er dann "Anima Eterna", sein Orchester, mit dem er nach dem barocken Repertoire auch Klassik und Romantik aufführt. Was für das Publikum und auch die Kritiker anfangs gewöhnungsbedürftig war - schließlich war es Neuland, auch Musik des 19. und sogar des 20. Jahrhunderts historisch informiert aufzuführen. Für Jos van Immerseel ist es aber nur logisch, bei Musik von Berlioz oder Josquin oder Bach den immergleichen, gleich hohen Anspruch an die Aufführung zu haben. Wie das dann klingt - erstmal anders, eigenwillig, und dann überzeugend, wenn die so gut bekannten Sinfonien von Schubert oder Beethoven plötzlich in kleinerer Besetzung und mit originalen Instrumenten aufgeführt werden.
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 9. Juli 2013, 13.05 Uhr auf BR-KLASSIK