London, 31. Mai 1841. Eine Droschke holpert über die Straße, der Kutscher treibt die Pferde an. Es ist spät und die Herrschaften wollen nach Hause. In der Droschke sitzen Baron Philipp von Neumann und seine Gäste: zwei Damen und Franz Liszt. Sie sind zum gemeinsamen Dinner nach Norwood gefahren. Jetzt geht es zurück ins Zentrum von London. Liszt ist müde, der Nachtwind weht kühl.
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Plötzlich gibt es einen Stoß, möglicherweise aufgrund einer Unebenheit auf der Straße, erschrockenes Wiehern und Schreie folgen. Im nächsten Moment kippt die Droschke zur Seite, Liszt wird herausgeschleudert. Instinktiv reißt er die Arme vor das Gesicht. Dann schießt ihm ein stechender Schmerz durchs Handgelenk.
"Die Pferde gerieten außer Kontrolle und rannten weg. Wie durch ein Wunder blieben wir unverletzt", erinnert sich später der Baron an den Unfall. Wobei das nicht ganz stimmt: Der Kutscher kugelt sich die Schulter aus, und Liszt zieht sich neben einem verstauchten Handgelenk ein paar Prellungen am Kopf zu. Trotzdem haben die Passagiere Glück gehabt. Denn solche Kutschenunfälle enden damals nicht selten tödlich. "Ich schreibe Ihnen vom Bett aus, denn gestern Abend fehlte nicht viel und ich wäre dahin gewesen", teilt Liszt am nächsten Tag seiner Lebensgefährtin Marie d'Agoult mit.
Ich schreibe Ihnen vom Bett aus, denn gestern Abend fehlte nicht viel und ich wäre dahin gewesen.
Popstar des 19. Jahrhunderts: Franz Liszt | Bildquelle: picture-alliance/dpa
Sein linkes Handgelenk ist geschwollen. Dabei muss Liszt doch schnell wieder fit werden für die nächsten Konzerte. "Man hat mir acht Blutegel an dem besagten Handgelenk angesetzt. Wenn Sie meinen Brief erhalten, werde ich wieder das blühende Leben sein", schreibt Liszt.
Doch ganz so schnell wie Liszt hofft, geht es dann doch nicht. Trotzdem tritt der Tastenlöwe fünf Tage nach dem Unfall schon wieder auf. Einhändig. Und es soll auch noch ein paar Wochen dauern, bis seine linke Hand wieder richtig mitspielt.
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Sendung: "Allegro" am 31. Mai 2021 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK