Paris, Kathedrale Notre-Dame, 02. Juni 1937: Der Komponist und Organist Louis Vierne, 66 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen, gibt sein 1.750tes Orgelkonzert. Es wird sein letztes sein.
Bildquelle: Süddeutsche Zeitung Photo / Rue des Archives
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Am Ende seines Lebens schreibt Vierne: "Nach unablässigen Kämpfen, nach aller Mühsal der Arbeit, die am Ende bis zu völliger Erblindung geführt, ja meine Gesundheit ruiniert hat, fühle ich mich jetzt verlassen, gealtert und kraftlos; ich blicke zurück auf all die Geschehnisse meines unruhigen Lebens. Mit der ganzen Kraft, die mir verbleibt, ersehne ich nur noch Ruhe, ewige Ruhe – das unendliche Nichts, das zuletzt alles auslöscht."
Ein Mann, der nach vielen Schicksalsschlägen körperlich und seelisch am Ende ist. Und dann auch noch diese ständigen Streitereien mit dem garstigen und unmusikalischen Gemeindepfarrer an der Kathedrale Notre-Dame, der Vierne – quelle absurdité! – unter anderem das Rauchen auf der Orgelempore verbieten will. "Ich werde persönlich dafür Sorge tragen, Monsieur Vierne, dass dies das letzte Konzert sein wird, das Sie hier spielen!", hatte der Pfarrer dem Komponisten gedroht.
Doch trotz aller Depressionen: Vierne ist ein Mann von höchster Disziplin. Nur mit Hilfe kann er sich die 90 Stufen zur Empore noch hinaufschleppen in diesen letzten Jahren. Aber das Konzert findet statt. Sein Assistent Maurice Duruflé erinnert sich: "Nachdem er den letzten Satz seines "Tryptique" begonnen hatte, "Stele für ein verstorbenes Kind", wurde er ganz weiß im Gesicht, seine Hände klebten buchstäblich an den Tasten, und als er die Hände nach dem Schlussakkord aufhob, kollabierte er auf der Orgelbank. An dieser Stelle sollte er eigentlich über das "Salve Regina" improvisieren, doch stattdessen ließ sich nur ein einziger langer Pedalton vernehmen: Sein Fuß war auf diese Taste, das tiefe E geglitten und hob sich nicht mehr."
Wiederbelebung zwecklos. Bei Viernes Bestattung drei Tage später schweigt die Orgel von Notre-Dame, "seine Orgel", ganz von schwarzem Tuch verhüllt. "Niemals soll mein Sarg mit dem Weihwasser des Pfarrers von Notre-Dame besudelt werden!" Diesen postumen Wunsch immerhin erfüllt man Louis Vierne: Der Kardinal von Paris selbst liest ihm die Totenmesse.
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Louis Vierne Filmed at Notre Dame de Paris
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Sendung: "Allegro" am 02. Juni 2022 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Donnerstag, 02.Juni, 08:59 Uhr
W. Viereck
Ist ja eine gute Idee, das Zitat von Duruflé musikalisch zu illustrieren - dann sollte aber auch bitte der genannte Pedalton zu dem passen, der zu hören ist. Von einem E ist die Rede, im Hintergrund zu hören ist aber ein A!