Nadia Boulanger war sich sicher, kein Talent als Komponistin zu haben. Nichtsdestoweniger wurde sie als Musikpädagogin eine Legende: Generationen von Komponisten gingen bei ihr in die Lehre – Aaron Copland und Leonard Bernstein ebenso wie Astor Piazzolla und Quincy Jones.
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Sie seien widernatürliche Erscheinungen, wie Hunde, die auf zwei Beinen liefen, meinte Camille Saint-Saëns über komponierende Frauen. Emile Vuillermoz bezeichnete die weibliche Konkurrenz als "péril rose" – als "rosa Gefahr"! Die Herren Tonsetzer waren von der geballten Kompetenz der jungen Nadia Boulanger zutiefst verunsichert: 16-jährig hatte sie ihr Studium am Pariser Konservatorium glanzvoll abgeschlossen und seither Werk um Werk vorgelegt und selbst aufgeführt.
Als dann auch noch ihre jüngere Schwester Lili 1913 als erste Frau überhaupt den begehrten "Rompreis" gewann, war dank der Boulanger-Schwestern klar, dass Komponieren künftig keine reine Männersache mehr sein würde. Doch Lili erlag wenig später einer chronischen Krankheit und Nadia schrieb fortan keine Note mehr: "Ich habe kein Talent", behauptete sie. "Meine Schwester Lili, das war die Komponistin. Sie war schon eine bedeutende Komponistin, als sie mit 24 starb. Sie brachte mich zum Unterrichten."
Vergessen wir, dass ich eine Frau bin und sprechen wir über Musik.
Ihr Unterricht an französischen Hochschulen, Universitäten in den USA und im heimischen Salon in der Rue Ballu war legendär. "Mademoiselle" mit strenger Steckfrisur und immer dicker werdender Brille war eine Institution universeller Musikpädagogik bis zu ihrem Tod im Alter von 92 Jahren. Aus ihrer unerbittlichen und doch hochindividuellen Schule – scherzhaft "Boulangerie" genannt – gingen KünstlerInnen wie Grazyna Bacewicz, Astor Piazzolla, Dinu Lipatti, Jean Francaix, Aaron Copland, Philip Glass, Leonard Bernstein, Quincy Jones und Virgil Thomson hervor. Der ehrte sie als "Alma Mater" der US-Komponisten. Nadia Boulanger war mehr: eine der einflussreichsten Musikerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.