Wenn man Musiker fragt, was sie zu Beginn eines Übetages spielen, hört man immer wieder die gleiche Antwort: die Musik von Bach. So ist auch für die Geigerin Isabelle Faust Bachs Musik immer Teil ihres Lebens. Zusammen mit Christoph Poppen hat sie auch Bachs Konzert für zwei Violinen BWV 1043 interpretiert. Wie viel, auch an Persönlichem, sie mit diesem Werk verbindet, hat sie BR-KLASSIK erzählt.
Bildquelle: Felix Broede
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"Das Doppelkonzert ist eines von diesen Stücken, das man gern vom Blatt spielt, mit Kollegen und Freunden, Mitstudenten und bei Meisterkursen", sagt Isabelle Faust über BWV 1043. "Das hat man immer mit im Koffer. Und wenn man sein Übe-Pensum absolviert hatte und sich etwas Gutes tun wollte, dann wurde halt dieses Konzert rausgeholt."
Würde Bach sich heute wohl zufrieden zurücklehnen, wenn er das hören könnte? Sein Konzert reist im Geigenkoffer um die Welt. Wird herausgeholt, wenn den Musikern alles andere schon zu viel geworden ist. Eine Beschreibung, die bei Bach wohl eigene Erinnerungen wachrufen könnte: an seine Zeit mit diesem Konzert, die bewegten Aufführungen damals, im Leipziger Kaffeehaus. Lange hat man angenommen, Bach habe das Violinkonzert noch in den Dienstjahren in Köthen geschrieben, als er dort Hofkapellmeister war. Doch inzwischen deutet vieles darauf hin, dass es erst um 1730 in Leipzig entstand. Denn hier gab es etwas, das Bach nach langer Zeit endlich wieder so richtig Freude machte: das Collegium Musicum. Ein Orchester aus Studierenden, das er gerade erst übernommen hatte. In diesem Studentenorchester saßen viele hochtalentierte Jungmusiker, auch seine eigenen Söhne Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emmanuel. Sie trafen sich jede Woche zum Konzertieren, Freitagabends um acht in "Zimmermanns Kaffeehaus" in der Katharinenstraße. Oder im Sommer schon um vier Uhr nachmittags, draußen in Zimmermanns Kaffeegarten vor dem Grimmaischen Tor.
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Christoph Poppen, Isabelle Fausts Lehrer | Bildquelle: © Takao Komaru So kann man sich das vielleicht vorstellen: Bach sitzt am Cembalo, greift energisch in die Tasten, Kerzen brennen, festliche Musik erklingt, das Publikum trinkt Kaffee und raucht, Leute kommen und gehen. Zur Messezeit sind viele Besucher von auswärts dabei, um den vielgepriesenen Bach einmal selbst zu erleben. Eine beschwingte Atmosphäre – ähnlich vielleicht wie auf einer der Geburtstagspartys des Geigers Christoph Poppen, bei der das Konzert auch schon mit dabei war: "Da ich das hier mit meinem alten Lehrer Christoph Poppen aufgenommen habe, fällt mir auch eine Geschichte dazu ein", erinnert sich Isabelle Faust. "Als ich vor vielen Jahren als ich noch Studentin bei ihm war, habe ich das einmal zu seinem Geburtstag mit einem Mitstudenten ad hoc als Überraschung gespielt. Das Werk hat also einen kleinen direkten Zugang zu Christoph Poppen und mir."
Im zweiten Satz des Doppelkonzertes vernehmen wir zwei einfache und schlichte Geigenstimmen im innigen Zwiegespräch: ein Kanon – ausschweifend, abgeklärt. Es fehlt ihm so ganz die Schwere, die ein "Largo" so oft mit sich bringt. Denn er ist – ganz raffiniert – in die Form eines Sicilianos gekleidet. Kennzeichen: liebliche, schmerzhaft-süßliche Melodie, wiegender Rhythmus, zum Beispiel wie hier im 12/8-Takt, die erste Note des Themas jeweils langgezogen.
Mit einfachen Mitteln das Publikum betören, darin war Bach ein Meister. Dabei nutzte er seinen großen Erfahrungsschatz, den er selbst als Geiger gesammelt hatte: am Weimarer Hof, als er dort von 1714 an drei Jahre lang Konzertmeister war. Danach in Köthen, wo er wohl auch viel auf seiner Violine gespielt haben wird. Und später, an vielen Abenden im Leipziger Kaffeehaus, wenn er das ein oder andere Mal zur Violine gegriffen hat, im Solopart eines seiner Konzerte. Dazu kommen noch die Gastspiele an anderen Höfen. Und wer dann sein Partner, in diesem Doppelkonzert? Wer war ihm ebenbürtig? Denn in diesem Konzert sind beide Geiger die Nummer eins: "Das Stück ist sehr ausgewogen und gleichwertig", erklärt Isabelle Faust. "Beide Solisten sind gleiche Partner und spielen sich den Ball immer zu. Ein ganz harmonisches sehr freundschaftliches Zusammenspiel, das nichts mit einem typischen 'Concerto grosso'-Streitkampf zu tun hat."
Bach hat für mich immer eine sehr reinigende Wirkung
Johann Sebastian Bach | Bildquelle: picture-alliance/dpa Und das ist vielleicht das Tröstliche an der Musik von Johann Sebastian Bach: ihre humanistische Ausstrahlung. Verschiedene Stimmen bahnen sich in freundlichem Miteinander ihren Weg durch das musikalische Geschehen. Sie nehmen sich zur Kenntnis, gehen auf einander ein, und lösen sich wieder, um ihren Weg weiterzuverfolgen. Wie innere Stimmen, die alle zu ihrem Recht kommen. Zugleich sind sie Teil einer höheren Ordnung, eines ganz ausgewogenen Harmonie- und Struktursystems, in einem Miteinander von Sinnlichkeit und Vernunft. Ist es das, warum Bachs Musik nicht nur der Seele der Hörenden gut tut, sondern auch jeden Musiker immer wieder aufs Neue vorbereitet – auf das, was ihm sein Musikeralltag bringen mag? "Bach hat für mich immer eine sehr reinigende Wirkung", sagt Isabelle Faust dazu. "Es gibt eigentlich selten einen Tag, an dem ich nicht erstmal ein bisschen Bach spiele, weil ich mich danach erstmal geläutert fühle für alles, was danach kommt. Diese Musik hat für mich einen ganz zentralen Platz in meinem ganzen Üben und Arbeiten und Nachdenken."
Das Miteinander der Stimmen muss sich nicht immer so innig gestalten wie im "Largo". Es kann auch zum sportlichen Wettspiel ausarten, wie im stürmischen Schlusssatz. Wild ranken sich die beiden Solostimmen umeinander, jagen sich tänzerisch im Abstand von Viertelnoten. Viel scheint auf dem Spiel zu stehen. Ein Hin und her, in dem sich die beiden Solisten immer mehr mit Energie volltanken. Und doch bleiben sie miteinander im Gleichgewicht.
Ein vielschichtiges Werk, Bachs Doppelkonzert d-Moll. "Es ist sicherlich eines der Lieblingsstücke von vielen großen Geigern", sagt Isabelle Faust über das Werk. "Und dies, obwohl es technisch gar nicht so anspruchsvoll ist, dafür aber bereits in höhere Sphären hineinläuft. Ein wirkliches Herzensstück."
J. S. Bach: Doppelkonzert d-Moll, BWV 1043
Isabelle Faust und Christoph Poppen (Violine)
Bach-Collegium Stuttgart
Leitung: Helmuth Rilling
Label: Edition Hänssler
Sendung: "Das starke Stück" am 07. Februar 2023 um 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK