Große Oper ohne Szene, kann das funktionieren? Auf jeden Fall, meint unser Autor. Und trotzdem kann es nicht schaden, wenn vorher ein paar Inszenierungen schon bekannt sind.
Bildquelle: BRSO/Astrid Ackermann
Große Oper braucht die große Bühne, oder? Große Oper braucht Bilder, die mich in die Handlung hineinziehen. Regisseur*innen, die mir eine Welt erklären, die mir fremd ist. Die mir plausibel machen können, warum mir diese oft Jahrhunderte alte Welt was zu bedeuten hat.
Ich stehe vor den zwei Metern Opernprogrammen in meinem Bücherregal, blättere ein wenig und denke mir: Da ist ja dann doch schon ein paar Mal gründlich was schiefgelaufen… Was wollte mir Martin Kusej gleich wieder sagen, als er seine Lady Macbeth in den Kronleuchter klettern und die Hexen in Blecheimer pinkeln ließ? Wie unverschämt war es eigentlich von Dimitri Tscherniakov, Poulencs "Dialoge der Karmelitinnen" in einem Häuschen spielen zu lassen, in das man ab dem 1. Rang aufwärts gar nicht mehr reinschauen konnte? Und warum hat vor vielen Jahren Regisseur John Copley (nie wieder was von ihm gehört) aus Cilèas "Adriana Lecouvreur" ein nichtssagendes Rokoko-Wimmelbild gemacht?
Missratene Inszenierungen sind das Eine. Vergessene Produktionen sind das Andere. Und ich weiß nicht, was trauriger ist. "Dimitri" von Dvořák, "Jeanne d’Arc" von Tschaikowsky, "Venus und Adonis" von Henze - warum sind die alle aus meinem Gedächtnis verschwunden?
Eingebrannt für immer und ewig hat sich mir die sensationelle Händel-Parade der Ära Peter Jonas in München, Christof Loys "Roberto Devereux", ein "Don Carlo" in Paris – und, wieder an der Bayerischen Staatsoper, Amelie Niermeyers "Otello"-Krimi. Und Herbert Wernickes "Elektra" natürlich. Und Nikolaus Lehnhoffs "Ring des Nibelungen" 1987. Da wollte ich nach dem 1. Aufzug "Walküre" (meiner ersten "Walküre" überhaupt) jubeln. Ging nicht… fetter Kloß im Hals, Tränen in den Augen, Puls auf 150. Das sind musikalisch-szenische Überwältigungserlebnisse. Und ich lasse mich gerne überwältigen.
Das klappt, jetzt kommt’s, auch ohne Regie. In einem konzertanten Hochspannungs-"Andrea Chénier" mit Jonas Kaufmann und Anja Harteros. Im Ewigkeitsmoment einer hingebungsvoll gesungenen und bitte nie endenden Händel-Arie. In einer gespenstisch-furiosen "Pique Dame" unter Mariss Jansons im Münchner Gasteig.
Also: Was nun – konzertant oder szenisch? Sagen wir mal so: Es schadet nichts, in einer konzertanten Aufführung zu sitzen und ein paar Bilder von schon gesehenen Inszenierungen vor Augen zu haben. Denn, so hat es mal ein Bekannter formuliert: Man kann keine Opernpartitur im Kopfkino laufen lassen, wenn einem die Software dazu fehlt. Da mag er recht haben. "Ring"-gestählt, wie ich durch München und Bayreuth bin, werde ich mich jetzt an das wagen, was ich nicht zu brauchen glaubte: Wagners "Siegfried" konzertant. Aber auch nur, weil Dirigent Simon Rattle im Vorfeld so wunderbar Werbung gemacht hat dafür, was wir ohne Bühnenbild alles hören werden, wenn das Orchester nicht im Graben, sondern auf der Bühne sitzt. Wenn wir uns von diesem Orchester erzählen lassen, was dieser Siegfried für ein Mensch ist. Und wenn im dritten Akt der Klang explodiert. Und danach freue ich mich schon auf die nächste Inszenierung ...
Sendung: Allegro am 3. Februar 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (4)
Montag, 06.Februar, 20:52 Uhr
Peter Perry
„Don Giovanni“ semikonzertant, Mozartwoche 2023
Ich bin voll Ihrer Meinung. Ich habe noch nie den Don Giovanni so genossen, vor allem auch den Orchesterklang, wie bei dieser Aufführung unter Sir Andra? Schiff bei der diesjährigen Mozartwoche!
Montag, 06.Februar, 08:04 Uhr
schwaighofer
siegfried
Wunderbar wenn man nicht durch Regieeskapaden gestört wird, Musiker und Sänger leidenschaftlich singend und spielend beobachten und das zu Preisen welche man sich öfters leisten kann bei bester Sicht. Leider ist konzertante Oper sehr selten geworden. "Hundings Hütte" der neue Gasteig, eignet sich bestens!!
Sonntag, 05.Februar, 16:41 Uhr
Wolfram Feigl
"SIEGFRIED" konzertant am 03.02.2023
Es ist einfach großartig, wenn man ohne (s.o.) unverständliche und/oder nichtssagende, ja die Musik zerstörende Inszenierungen sich auf die unbeschreibliche Komposition Richard Wagners fokussieren kann, noch dazu, wenn das für mich beste Orchester der Welt vollendet musiziert, wunderbare Interpreten singen und ein traumhafter Sir Simon Rattle dirigiert. Endlich wieder eine Sternstunde der Oper.
Samstag, 04.Februar, 01:13 Uhr
Elfriede Komarek
konzertante Opernaufführungen
Würde ich mir oft bei den heutigen Neuinszenierungen wünschen.
Gute Sänger, gutes Orchester, es kann so wunderschön sein. Habe letztes Jahr im Grazer Stefaniensaal einen tollen "NABUCCO" konzertant erlebt, danke dafür!
Ebenso in Paris, Salle Gaveau grossartig:" I due Foscari"
Sicher gut, wenn man diese Opern bereits szenisch gespielt kennt, aber nicht unbedingte Voraussetzung. Man geniesst die Musik, die Stimmen und wird nicht von einer "unmöglichen Inszenierung" abgelenkt.