Es ist wohl eins der bekanntesten Solokonzerte überhaupt – das Violinkonzert in a-moll BWV 1041 von Johann Sebastian Bach. Jeder einigermaßen arrivierte Geiger hat es gespielt, ja er muss es gespielt haben. Denn mal abgesehen von seiner klanglichen Faszination: Welches andere Konzert lädt dermaßen ein, sich mit seinen Kollegen und den ganz großen Geigern unserer Zeit zu vergleichen? Natürlich hat auch die junge Münchner Geigerin Julia Fischer das Konzert auf CD eingespielt. BR-KLASSIK hat sich mit ihr darüber unterhalten.
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Wie bei den meisten Konzerten Johann Sebastian Bachs liegt auch die Entstehung dieses Violinkonzertes weitgehend im Dunkeln. Erhalten ist immerhin ein originaler Stimmsatz aus dem Jahr 1730. Zum Teil stammt er aus Bachs eigener Feder. Aber auch die Handschriften seines Sohnes Carl Philipp Emmanuel und des Komponisten Johann Ludwig Krebs sind darin enthalten. Vermutlich komponierte Bach das Konzert in Leipzig, als er schon Thomaskantor war. Dort leitete er nebenbei auch ein junges Orchester, das Collegium musicum, und hatte einen unerschöpflichen Bedarf an frischer, mitreißender Musik.
Bach wird wohl selbst auch die Solopartie des Konzertes übernommen haben. Denn er hat sehr gern seine Orchester auch von der Violine aus geleitet. Sein Sohn Carl Philipp Emmanuel bescheinigte ihm, das Instrument "rein und durchdringend" gespielt zu haben. Dass die Töne hier besonders sauber gespielt werden müssen, merkt jeder Geiger spätestens beim Üben. "Wie bei Mozart ist es glasklar", erklärt Julia Fischer. "Wenn mal eine Note nicht stimmt, hört das wirklich jeder. Bei Tschaikowsky hingegen könnte man das mit Vibrato ein bisschen verschleiern, das geht dann schon. Aber das kann man sich bei Bach nicht leisten."
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Die Musik sollte eine gewisse Geradlinigkeit und Bescheidenheit ausstrahlen.
Der zweite Satz des Violinkonzertes ist ein inniges, fast elegisches Andante, in C-Dur. Die Geige entfaltet sich ganz frei über einem Bassfundament. Schon Claude Debussy war von diesem Satz betört: "Die Schönheit des Andantes ist so groß, dass man ernstlich nicht mehr weiß, wie man sich hinsetzen und verhalten soll, um des Anhörens würdig zu sein. Sie bleibt einem lange im Sinn, und man wundert sich beim Hinaustreten auf die Straße, dass der Himmel nicht blauer ist und der Parthenon nicht aus der Erde emporwächst." Welchen Geiger mag Debussy wohl so spielen gehört haben? Jedenfalls fühlt sich auch Julia Fischer angezogen von der klassischen Ausgewogenheit dieses Mittelsatzes. Daher lässt sie hier auch keine Melancholie aufkommen, ganz im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen. " Ich finde den Satz einfach unglaublich schön", sagt die Musikerin. "Er ist fast wie eine Arie. Man hat sich angewöhnt, dass man alles so legato dahinplätschern lässt. Bach hat aber sehr genaue Artikulationen geschrieben. Ich habe versucht, diese, soweit es mit dem Gesanglichen vereinbar schien, beizubehalten. Die Musik sollte eine gewisse Geradlinigkeit und Bescheidenheit ausstrahlen."
Julia Fischer | Bildquelle: © Felix Broede Eine Vielzahl an Wahlmöglichkeiten, die sich bei Bach wie bei kaum einem anderen Komponisten auftut: Versuche ich ein möglichst historisch korrektes Spiel, sprich: abgesetzt, schlank und doch kantabel? Sollen die Melodien bescheiden klingen, geistlich oder glamourös? Wie schaffe ich genug Transparenz, so dass das ganze Geflecht der Töne hörbar wird? Und wie lasse ich meine Finger so über die Saiten tanzen, dass die Ecksätze ganz leicht und luftig klingen? Habe ich genug an die Räume gedacht, für die Bach komponiert hat? Hohe Decken, glatte Steinfußböden und viel Hall? Jeder Musiker antwortet darauf nach seinem eigenen Gutdünken und nach seinem Geschmack. Was Bach wirklich wollte, kann heute schließlich niemand mehr wirklich sagen. Mit dieser Freiheit kann Julia Fischer leben: "Man kann die Musik romantisieren, man kann sie auch ganz barock spielen, oder eben ganz modern. Und aus irgendeinem Grund funktionieren die Interpretationen, solange sie überzeugend sind, immer. Man muss sich nur entscheiden, was für einen die wichtigsten Komponenten sind."
Doch nach aller Tüftelei beim Üben, in der Aufführung ist schließlich vor allem eins entscheidend: flexibel sein, auf die anderen Musiker eingehen, und mit ihnen das Werk jeden Abend quasi neu kreieren. Julia Fischer hat ihren Lieblingspartner dafür schon lange gefunden: "Ich spiele das Werk prinzipiell gerne, wenn ich ein hervorragendes Kammerorchester habe. Denn es muss ein Orchester mit Musikern sein, die schnell agieren können. Weil die Spontanität einfach eine wirklich sehr große Rolle spielt. Deshalb habe ich es auch mit der Academy of St.Martin in the Fields aufgenommen, weil ich die Academy so gut kenne. Wir spielen schon lange zusammen. Und sie kennen mich so gut, sie wissen schon durch ein Augenzwinkern, dass sie jetzt aufpassen müssen, dass jetzt offensichtlich was Neues kommt. Und das ist sehr wichtig bei diesem Werk."
Johann Sebastian Bach:
Violinkonzert a-Moll, BWV 1041
Julia Fischer (Violine)
Academy of St. Martin in the Fields
Label: Decca
Sendung: "Das starke Stück" am 02. Mai 2023, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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