Seit der Schulzeit sind Julia Fischer und Johannes X. Schachtner befreundet. Jetzt hat der Komponist ein Violinkonzert für die Geigerin geschrieben, das sie zusammen mit den Bamberger Symphonikern am 14. April in München uraufführen wird. BR-KLASSIK hat sich vorab mit Julia Fischer unterhalten.
Bildquelle: Kasskara/Felix Broede
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BR-KLASSIK: Frau Fischer, Sie spielen in diesem Konzert die Uraufführung des Violinkonzerts von Johannes X. Schachtner. Welche Rolle spielt die zeitgenössische Musik für Sie generell?
Julia Fischer: Ich bin kein Freund davon, das zu trennen, also in zeitgenössische Musik und in Stücke, die man sozusagen ohnehin immer spielt. Ich halte es für wichtig, dass es eine gewisse Abwechslung in meinem musikalischen Leben gibt. Deswegen spiele ich gerne alles kreuz und quer. Ich fände es gut, wenn zeitgenössische Musik einfach in die Programme einfließen würde. Es gibt ja auch diese Alibi-Stücke: Da stellt man eine Zehn-Minuten-Ouvertüre schnell vor irgendein Violinkonzert, damit man das abgehakt hat. Ich halte das für nicht klug und auch nicht notwendig.
Ich fände es gut, wenn zeitgenössische Musik einfach in die Programme einfließen würde.
Es gibt aber auch Orchester, die das anders handhaben. In Cleveland habe ich beispielsweise einmal Hans Werner Henze gespielt. Es war überhaupt kein Thema, das hat niemand als etwas Außergewöhnliches gesehen, niemand hat das als etwas Belastendes empfunden. Das Publikum war genauso im Konzertsaal wie auch sonst. Ich habe dann darüber mit dem Dirigenten Franz Welser-Möst (Anm. d. Red.: seit 2002 Musikdirektor des Cleveland Orchestra) gesprochen und er meinte, sie würden darauf achten, dass in jedem Programm auch immer etwas Ungewöhnliches ist. Das Publikum sei daran gewöhnt und nähme es super gut auf.
BR-KLASSIK überträgt das Konzert mit Julia Fischer und den Bamberger Symphonikern unter Jakub Hrůša am 14. April ab 20:05 Uhr live aus dem Herkulessaal der Münchner Residenz. Auf dem Programm stehen das Violinkonzert von Johannes X. Schachtner (Uraufführung, Auftragskomposition der Bamberger Symphoniker) und Antonín Dvořáks Sinfonie Nr. 9 e-Moll - "Aus der Neuen Welt".
Am 16. April spielt Julia Fischer das Programm in der Bamberger Konzerthalle.
BR-KLASSIK: Ja, es hat etwas mit Kontinuität zu tun, dann wird das sozusagen zum Normalfall. Gehen Sie denn auch hin und wieder in Konzerte, wo Sie sagen: Den Komponisten höre ich mir jetzt mal an, oder das Stück interessiert mich?
Julia Fischer: Ja, ich gehe ins Konzert, und es gibt auch Stücke, Komponisten und Interpreten, die mich natürlich interessieren. Und da mache ich keinen Unterschied zwischen zeitgenössischer Musik und Musik, die ich vielleicht auch sonst nicht kenne. Ich habe zum Beispiel vor einem Jahr beim London Philharmonic Elgars Violinkonzert gespielt. Im zweiten Teil hat Vladimir Jurowski eine Symphonie von George Enescu dirigiert. Das hört man jetzt auch nicht alle Tage. Und dann freue ich mich natürlich sehr, dass ich da hingehen kann. Aber genauso war ich letzte Woche in Lugano und habe mit Markus Poschner gespielt. Und er hatte im zweiten Teil des Konzerts die dritte Symphonie von Tschaikowsky. Da denken alle: Klar, das kenne ich. Aber die "Polnische" kennt tatsächlich kaum jemand. Ich muss auch zugeben, dass ich sie da zum ersten Mal gehört habe.
BR-KLASSIK: Und dann setzen Sie sich in den Zuschauerraum und hören sich den zweiten Teil des Konzerts an?
Julia Fischer: Genau. Wenn es etwas ist, was ich noch gar nicht kenne, gehe ich auch gerne jeden Abend in den zweiten Teil, weil ich das Stück tatsächlich kennenlernen möchte. Einmal hören genügt mir dann in der Regel nicht, wenn mich das Werk interessiert. Natürlich gibt es auch ein einmaliges Hören, wo man sich dann denkt, ein zweites Mal muss nicht unbedingt sein ...
BR-KLASSIK: Sie werden in diesem Jahr 40. Sind Sie in Ihrer Geigenkarriere an einem Punkt angekommen, wo es Entdeckungen eigentlich nur noch auf dem Gebiet der zeitgenössischen Musik gibt? Oder gibt es noch andere Felder, wo Sie noch Neues für sich und Ihr Instrument entdecken?
Julia Fischer: Man findet tatsächlich immer noch viel Neues. Es gibt – ich weiß nicht die genaue Zahl – geschätzt wahrscheinlich 300 Violinkonzerte von Vivaldi, und es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich die alle kenne. Da kann man sich immer wieder durcharbeiten. Besonders im Barock gibt es wahnsinnig viel: Es gibt Tartini, davon kennt man auch in der Regel nur die Teufelstriller-Sonate und den Rest nicht. Und ich muss sagen, dass ich die Corona-Zeit dafür genutzt habe, Unbekanntes zu finden. Das ist ja in der heutigen Zeit mit Tablets und Noten aus dem Netz ganz praktisch. So habe ich mich durch verschiedene Bibliotheken gelesen, am Klavier und auf der Geige. Es gibt diese ganz berühmte Zugabe, die "Hebrew-Melodie" von Josef Ahron. Das Stück kenne ich seitdem ich ein kleines Kind war. Aber dann habe ich mir gedacht, der gute Mann muss doch noch etwas Anderes geschrieben haben. Tatsächlich fand ich dann drei Violinkonzerte sowie Sonaten und Suiten von ihm. Und jetzt findet man kein Orchester, das das machen möchte.
Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich alle Vivaldi-Konzerte kenne.
BR-KLASSIK: Das scheint dann die andere Schwierigkeit zu sein: Man muss erst jemanden finden, der sich dafür auch interessiert und aufs Programm setzt.
Julia Fischer: Es ist tatsächlich der einfachste Weg, direkt zu einem Dirigenten zu gehen. Und da habe ich natürlich schon Glück, dass ich mittlerweile doch ein paar Dirigenten kenne, die ich – manchmal freiwillig, manchmal mit sehr viel Überzeugungskraft – dazu bringen kann, etwas zu programmieren.
BR-KLASSIK: Kommen wir zum Violinkonzert von Johannes X. Schachtner. Er hat es ja für Sie geschrieben, und Sie beide kennen sie sich bereits seit langer Zeit, sind in dieselbe Schule gegangen. Was schätzen Sie an diesem Stück?
Komponist Johannes X. Schachtner schrieb ein Violinkonzert für seine Schulfreundin Julia Fischer. | Bildquelle: © Dora Drexel Julia Fischer: Zum Zeitpunkt dieses Interviews habe ich bisher nur meine Geigenstimme gelernt und habe noch nicht den Eindruck des ersten Hörens mit Orchester. Was mich bei Johannes fasziniert, ist seine Suche nach Klangfarben. Er sucht ganz neue Klänge, ganz neue Kombinationen, entwickelt sie aus einer Note heraus. Er nimmt sich das Zentrum einer Note, und um diese Note herum fängt er an zu bauen. Und das finde ich ganz großartig. Aber auch, wie er die Geige benutzt. Das ist relativ konventionell, also ich muss jetzt nicht irgendwie auf dem Griffbrett herumklopfen oder dazu singen. Aber gerade im Bereich der Flageoletts – welche man benutzen kann, wie man die benutzen kann, welche Obertöne es gibt und so weiter – da geht es wirklich sehr, sehr weit.
Ich habe natürlich dann auch meinen Senf dazu gegeben und ihm gesagt, was geht und was nicht geht. Oder was vielleicht theoretisch geht, aber einfach nicht überzeugend ist. Da haben wir zusammen immer Lösungen gefunden. Es ist sehr angenehm, mit Johannes zu arbeiten, denn auf der einen Seite weiß er ganz genau, was er will. Gleichzeitig ist er aber total offen, sich von jemandem, der das Instrument natürlich besser beherrscht als er, anzuhören, was der bessere Weg wäre.
Es ist sehr angenehm, mit Johannes zu arbeiten.
BR-KLASSIK: Das Konzert findet zur Feier der 70-jährigen Zusammenarbeit des Bayerischen Rundfunks mit den Bamberger Symphonikern statt. Sie kennen das Orchester gut, haben mit ihm schon mehrfach gespielt. Was schätzen Sie an diesem Orchester?
Julia Fischer: Ich finde, das Orchester hat tatsächlich eine ganz wunderbare Art zu arbeiten. Es macht Riesenspaß. Das Orchester ist sehr offen, sehr bescheiden und sehr willig, sehr aktiv. Wir haben immer eine wirklich schöne Zeit zusammen. Wir haben auch ein Corona-Konzert gespielt, nur für die Kameras. Trotzdem herrschte eine gute und positive Stimmung. Und das war ja in der Zeit nicht überall gegeben.
BR-KLASSIK: Sie sind neben ihrer Karriere als Geigerin auch schon sehr lange Dozentin beziehungsweise Professorin, zunächst in Frankfurt, dann an der Münchner Musikhochschule, wo Sie ja auch selber studiert haben. Ist das ein gleich wichtiger Bestandteil Ihrer Arbeit als Geigerin?
Julia Fischer: Ja, absolut. Das ist mindestens genauso wichtig für mich wie meine Konzerttätigkeit. Und es ist auch selbstverständlich immer im Hinterkopf, dass ich, wenn ich mal keine Konzerte mehr spielen kann oder will, weiter unterrichte. Das ist für mich ganz klar.
BR-KLASSIK: Worin liegt die Faszination? Beziehungsweise kommen wir vielleicht auch auf ihre eigene Studienzeit zurück in der Klasse von Anna Chumachenko, aus der ja auch zum Beispiel Arabella Steinbacher, Lisa Batiashvili oder Linus Roth hervorgegangen sind, also eine wirkliche Talenteschmiede. Wie schafft man es, junge Musikerinnen und Musiker zu solchen Talenten heranzubilden?
Die Geigerin Julia Fischer ist auch eine leidenschaftliche Pädagogin. | Bildquelle: Oktavia Engelsmann, BR-KLASSIK Julia Fischer: Es gibt einen Teil, den ein Lehrer oder eine Lehrerin schaffen kann. Und es gibt einen Teil, der einfach vorhanden sein muss. Das ist ein tragischer Moment für einen Lehrer, wenn man feststellt, dass dieser Teil eben nicht vorhanden ist. Das muss ich ganz ehrlich sagen. Man kann zwar sehr viel unterrichten und ich kann vermutlich jedem Menschen, der Geige lernen möchte und fleißig ist, das Geigenspiel beibringen. Das geht. Ich kann auch eine gewisse Grundlage an Stilempfinden, die Komponisten-Sprache vermitteln. Das funktioniert alles. Aber es gibt zwei Dinge, die man eigentlich nicht unterrichten kann. Das ist einmal die Neugierde, dieses: Ich suche immer weiter, ich bin nicht zufrieden, ich möchte das noch verbessern, auch wenn meine Lehrerin sagt, dass es gut ist, bin ich noch nicht zufrieden. Das kann ich nicht unterrichten.
Es gibt Dinge, die man nicht unterrichten kann.
BR-KLASSIK: Also dieser innere Ehrgeiz, einfach weiterzugehen ...
Julia Fischer: Ja, dieser innere Ehrgeiz. Und das andere, was man nicht unterrichten kann, ist die Bühnenpräsenz. Ich kann jemandem zwar sagen, dass er gerade gehen soll, dass er sich verbeugen soll. Ich kann sicherlich auch an der musikalischen Überzeugungskraft als Lehrerin sehr viel arbeiten. Aber zum Schluss geht man auf die Bühne und man muss ja das Publikum für sich gewinnen. Und ob das klappt oder nicht, ob jemand diesen Zauber – oder wie man das nennen möchte – hat, auch diese solistische Qualität, das ist gottgegeben.
BR-KLASSIK: Nehmen Sie die Erfahrungen aus dem Unterricht, den Sie an der Münchner Musikhochschule bei Anna Chumachenko genossen haben, auch in Ihren Unterricht mit auf?
Julia Fischer: Ganz bestimmt. Ich war ja 12-13 Jahre bei ihr. Ich bin als Neunjährige zu ihr gekommen, habe also im Prinzip meine ganze Ausbildung bei ihr genossen. Und Anna unterrichtet ja immer noch an der Hochschule. Ich sehe sie auch ab und zu dort. Manche meiner Schüler schicke ich in ihre Kurse. Annas größte Qualität versuche ich auch selber weiterzugeben: Man kommt bei ihr ins Zimmer – und es geht nur um die Musik. Es geht nicht um Eitelkeiten und Karriereplanung oder sonst was. Sondern es geht um Beethoven und Brahms und Tschaikowsky, und darum, ein aufrichtiger Musiker oder ein aufrichtiger Diener des Komponisten zu sein und um nichts Anderes. Und das war so während der ganzen Zeit meines Unterrichts bei ihr.
Ich würde ja behaupten, dass meine Karriere im Alter von 13 bis 15 schon einen gewissen Lauf genommen hat. Doch das hat in der Ausbildung bei ihr keine Rolle gespielt. Sie hat mich nicht gefragt, wie meine Kritiken waren oder welcher Agent da war. Sondern sie hat gefragt, was mein nächstes Programm ist, was ich zu spielen habe. Wir haben wirklich nur musikalisch gearbeitet. Und diese Demut, die sie an den Tag legt, versuche ich natürlich auch an meine Studenten weiterzugeben.
Sendung: "Leporello" am 13. April 2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Montag, 17.April, 12:40 Uhr
Herbert Mandl
Öde!
Ich verstehe die anhaltende Lobhudelei von BR-Klassik in Bezug auf Julia Fischer absolut nicht. Ihr Spiel am 14.4. war ebenso öde wie das Interview ... Beides absolut verzichtbar!
Freitag, 14.April, 13:42 Uhr
Robert
Naja
Auf die Frage, welche unbekannte Musik sie sich denn freiwillig im Konzert anhört, fallen ihr dann auch nur Enescu und Tschaikowsky (seltsam dass eine 40jährige Berufsmusikerin noch nicht alle Sinfonien von diesem gehört hatte) ein.
Die sogenannte zeitgenössische Musik ist halt doch etwas ganz Anderes, auch wenn alle immer wieder betonen, dass das eine künstliche Trennung sei. Man müsse das Publikum nur gewöhnen...