"Das Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde": Diesen Satz hätte Joseph Haydn wahrscheinlich nicht unterschrieben. Ihm persönlich war die Reiterei nämlich nicht mehr so ganz geheuer, nachdem er einmal vom Pferd gefallen war. Doch trotz Haydns schlechten Erfahrungen mit Pferden hat er ein Quartett komponiert, das ausgerechnet den Beinamen "Reiterquartett" trägt. Wie es zu seinem Namen gekommen ist und was es sonst noch zu berichten gibt über das Quartett op. 74 No 3 in g-Moll, darüber hat sich Sylvia Schreiber mit Geiger Rainer Schmidt vom Hagen-Quartett unterhalten.
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Betrachtet man das Gesamtwerk von Joseph Haydn einmal unter rein rechnerischen Gesichtspunkten, so kommt die Anzahl seiner Streichquartette locker an die der Symphonien heran. Haydn hat am Hofe von Fürst Esterházy dieser Königsdisziplin Ideen und Zeit widmen können. "Joseph Haydn denkt in Tönen" sagte man ihm nach. So schuf Haydn eine Vielfalt an geistreichen, beseelten und witzigen Gespräche unter vier Instrumenten – wortlos, aber tonreich.
Nach diversen assoziationsreichen Quartetten wie "Vogelquartett", "Lerchen"- und "Froschquartett" folgte im Jahr 1792 das "Reiterquartett". Vermutlich schrieb Haydn das Werk für seine Londoner Konzerte. In jedem Fall ist klar: Haydn hatte keine besondere Affinität zu Pferden. Rainer Schmidt vom Hagen Quartett: "Dazu muss man wissen, dass solche Ideen ja nur ganz selten von den Komponisten selbst stammten, sondern meist vom Herausgeber, der sich dadurch einen größeren Erfolg beim Publikum versprach. Die Leute mussten schließlich die Noten kaufen. Es gab ja damals noch keine CDs. Verleger lebten also davon, dass Noten gekauft wurden, und man hoffte, wenn dort ein Titel wie 'Reiter' stand, dass das dann als Blickfang diente."
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Als Notenmaterial erhältlich war das "Reiterquartett" im Jahr 1795, also rund drei Jahre nach der Uraufführung. Haydn wollte aber nicht nur mit dem Titel des Quartetts einen Kaufreiz auslösen. Auch die gewählte Tonart weckte damals ganz bestimmte Assoziationen: "Es ist ein g-Moll-Stück", erklärt Rainer Schmidt. "Und g-Moll hat eine bestimmte Tradition. Wir können ähnliche g-Moll-Charaktere in Mozarts Symphonie Nr. 25 finden oder auch in Mozarts g-Moll-Streichquintett. Oft gibt es dort Finalsätze, die diesen stürmischen, presto-haften Charakter haben. Ich denke, darum geht es." Zwar ist g-Moll eine ernste Tonart, aber die ist in Haydns Quartett längst nicht so exzentrisch, gar dämonisch auf die Spitze getrieben, wie in den beiden Mozartwerken.
Ich halte es für absolut nebensächlich, ob da ein Reiter ist oder nicht.
Das Hagen Quartett | Bildquelle: Harald Hoffmann Kehren wir aber noch einmal zum Reiter zurück, denn immerhin heißt es einschlägig in sämtlicher Literatur, der Kopfsatz und das Finale hätten dem Werk diesen Beinamen verpasst. Der Titel ist in jedem Fall nicht völlig am Charakter des Werkes vorbei gedichtet. Wer sucht, der kommt manchmal eben nicht nur auf den Hund, sondern auch aufs Pferd. "Wenn wir schon suchen, dann finden wir das im letzten Satz, wo man sich einen schnellen Galopp vorstellen könnte – und wie der Reiter, immer etwas später als die Schritte des Pferdes, in seinem Sattel auf- und niederwippt", sagt Rainer Schmidt dazu. "Aber ich halte das für absolut nebensächlich, ob da ein Reiter ist oder nicht. Und ich bin überzeugt, auch für Haydn war das nicht wichtig."
Ganz gleich, welche Assoziationen man bei diesen galoppierenden Klängen hat, ob Pferd, Reiter, Gnu, Ziegenbock oder Hürdenläufer – dieser vierte Satz ist innerhalb Haydns Schaffen ein einzigartiges Experiment. Symmetrisch zum Kopfsatz hat er ihn angelegt, also wie ein Sandwich. Haydn spart nicht an musikalischen Pointen, schon allein dadurch, dass er zwei Themen anlegt. Für gewöhnlich gehört das nicht zum Tonfall eines Quartett-Finales. Ausgesprochen keck stellt Haydn im Finale des Reiterquartettes Anstrengung und Entspannung nebeneinander – galoppierende Klänge neben weinselige Melodien. Letztendlich führt das zu einem wohltuenden Ausgleich der Kräfte.
Joseph Haydn:
Streichquartett op. 74 Nr. 3 "Reiterquartett"
Hagen Quartett
Label: Deutsche Grammophon
Sendung: "Das starke Stück" am 3. Dezember 2019, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK