Als Wolfgang Amadé Mozart am 4. Juni 1789 von einer zweimonatigen Reise nach Wien zurückkehrt, da macht er sich unversehens daran, eine Serie von sechs Streichquartetten zu komponieren. Das Streichquartett F-Dur KV 590, vollendet 1790, bleibt Mozarts letztes Werk für diese Besetzung. BR-KLASSIK stellt es mit Günter Pichler, dem ehemaligen Primarius des Alban Berg Quartetts, vor.
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"Wenn die Leute in mein Herz sehen könnten, so müsste ich mich fast schämen. – Es ist alles kalt für mich – eiskalt – Ja, wenn du bei mir wärest, da würde ich vielleicht an dem artigen betragen der leute gegen mich mehr vergnügen finden, – so ist es aber so leer." Dies schreibt Mozart am 30. September 1790 aus Frankfurt am Main an seine Frau Constanze. Ja, da ist etwas wie Eis in diesem Anfang von Mozarts letztem, im selben Jahr komponierten Streichquartett: Keine der himmelsfliegenden Melodien, an denen es dem Komponisten zeit seines Lebens eigentlich ja nie gemangelt hatte, stattdessen eine karge Tonfolge, der irgendwie das innere Zentrum zu fehlen scheint. Günter Pichler vom Alban Berg Quartett formuliert es so: "Das 590er ist mir eingefallen, weil es ein Beispiel dafür bildet, wie einfach das Material ist, das Mozart hier verwendet. Und das große Wunder ist, dass das trotzdem so wunderbar wirkt. Der Anfang sieht so aus, dass wir einen aufsteigenden Dreiklang haben und dann eine absteigende Tonleiter. Einfacher geht's nicht. Und es fällt ihm dann auch eigentlich für eine Weile nichts Anderes mehr ein".
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In diese Musik ist der Daseinsschmerz so als etwas Selbstverständliches hineingewoben, dass er sich immer wieder in rätselhafte, unergründliche Schönheit hüllen darf. Nur dann und wann ein kurzes Hochschrecken – als wache jemand aus einem süß-seltsamen Traum auf, um festzustellen, dass er ganz alleine sei. Nach der polyphon- unruhigen Durchführung scheint das erregte Gemüt wieder zur Ruhe zu kommen. Der Satz verstummt im Piano.
Das ist für mich eigentlich ein sehr trauriger Satz.
Das Alban Berg Quartett; links: Günter Pichler | Bildquelle: Helge Strauss (c) EMI Classics Der zweite Satz bringt keine Erlösung aus solch schönem Unbehagen, im Gegenteil: "Wenn ein großer Komponist sehr viel wiederholt, könnte man natürlich sagen, es ist ihm nichts eingefallen", meint Günter Pichler "Aber ich würde sagen, genau diese penetrante Wiederholung eines ganz primitiven Mittels bringt ungeheuren Ausdruck. Dieses Andante mit seinen drei mal acht Perioden bietet eigentlich nichts Doch das ist es, was uns so fasziniert Dieses eine Thema, das sich durch den ganzen Satz zieht, besitzt schon eine gewisse Hintergründigkeit. Das ist für mich eigentlich ein sehr trauriger Satz." Einen "der sensitivsten Sätze der ganzen Kammermusikliteratur" hat der große Mozart-Schriftsteller Alfred Einstein dieses Andante einmal genannt, "wie ein selig-wehmütiger Abschied vom Leben. Wie schön war es! Wie enttäuschend! Wie kurz!"
Im Anfang des Menuetts mit seiner so oft wiederholten fallenden Sekunde haben manche eine Art gut gelauntes Vogelzwitschern hören wollen. Doch am Ende wandert das kreisende Sekundmotiv in den Bass – eine Stelle, die, beängstigend wie sie ist, auch in den letzten, todeswunden Streichquartetten Franz Schuberts stehen könnte. Das zarte Trio des Menuetts: eine befristete Linderung. Dann beginnt der dämonische Tanz von neuem.
Das Finale ist leicht – weil es schwierig ist.
Wenn es in diesem Quartett einen Satz gibt, in dem sich zu all dem latenten Unbehagen auch eine Art Heiterkeit mischt, dann ist es das Finale mit seinem quirligen Hauptthema. "Das Finale ist leicht – weil es schwierig ist", erklärt Günter Pichler. "Es ist ein technisch brillanter Satz, der gespickt ist mit Virtuosität. Damit ist er technisch schwer zu spielen, musikalisch jedoch relativ leicht darzustellen." Doch gleich mit dem zweiten Thema in Moll, pochend mit seinen repetierten Achteln, schmerzlich polyphon unterwandert, hält wieder die Sehnsucht Einzug – eine Sehnsucht, die nicht mehr damit rechnet, gestillt zu werden. An Ende fällt mit einer zarten humoristischen Geste der Vorhang über Mozarts letztem, ergreifendstem Streichquartett: Schrullige Bordun-Quinten in der Bratsche, drüber Geigengezirpe. Wie alle anderen Sätze des Quartetts auch, verstummt das Finale im Piano.
Wolfgang Amadeus Mozart:
Quartett für zwei Violinen, Viola und Violoncello F-Dur, KV 590 "3. Preußisches Quartett"
Alban Berg Quartett
Label: EMI/Warner
Sendung: "Das starke Stück" am 05. November 2024, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK