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Das Starke Stück Tschaikowsky – Rokoko-Variationen

Die"Rokoko-Variationen" widmete Tschaikowsky seinem Freund, dem deutschen Cellisten Wilhelm Fitzenhagen. Ihm hat er auch erlaubt, das Werk nach Belieben zu bearbeiten. Darauf veränderte Fitzenhagen noch einiges am Original. Zunächst hat sich Tschaikowsky über diese fundamentalen Eingriffe geärgert, doch die äußerst erfolgreiche Uraufführung scheint ihn wieder milde gestimmt zu haben. Und so hat sich die Fitzenhagen-Version bis heute durchgesetzt. Die Cellistin Sol Gabetta stellt dieses Starke Stück im Gespräch mit BR-KLASSIK vor.

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Das starke Stück

Tschaikowsky - Rokoko-Variationen

"Ich habe dieses Thema mit zwölf Jahren in romantischem, russischen Tschaikowsky-Stil gespielt", erinnert sich Sol Gabetta. "Natürlich wurde es mir damals so beigebracht, dass dieses Stück romantische Musik ist – und dass man es so spielt: Viel Klang, mit viel Sahne. Dann kann man sich aber überlegen: 'Was ist das überhaupt, ein Rokoko-Stil? Die Reinheit in diesem Thema, das ist das Schwierigste, was es überhaupt gibt – und dann alle diese Verzierungen, das ist für mich das Rokoko daran. Rokoko muss auch einen Stil haben, eine Feinheit – sehr artikuliert, sehr klar gezeichnet, und galant!"

Die Reinheit in diesem Thema – das ist das Schwierigste, was es überhaupt gibt.
Sol Gabetta über Tschaikowskys Rokoko-Variationen

Stilistische Hommage an Mozart

Es scheint, als blicke Tschaikowsky in den "Rokoko-Variationen" wie durch ein Fernglas zurück in eine längst versunkene Welt. In eine Welt, die er offenbar als heil und unbeschwert empfunden hat. Damit ist aber nicht die höfische Rokoko-Welt mit Perücke, Puder und Tanz gemeint – sondern eine bestimmte Klangwelt, die Tschaikowsky kurzerhand mit dem Begriff "Rokoko" bezeichnet hat: Die Klangwelt des 18. Jahrhunderts – und zwar vor allem die von Wolfgang Amadeus Mozart. Die Musik dieses "sonnigen Genies" rühre ihn "zu Tränen", schrieb Tschaikowsky einmal. 1887, elf Jahre nach den "Rokoko-Variationen", hat er sogar selbst Hand angelegt an die Musik seines Vorbilds: Für seine Orchestersuite Nr. 4 mit dem Untertitel "Mozartiana" bearbeitete und verschmolz Tschaikowsky vier kleinere Mozart-Werke. Freilich, das Thema der "Rokoko-Variationen" stammt nicht aus Mozarts Feder, es ist vielmehr eine stilistische Hommage. Und diese zunächst simpel anmutende Hommage spickt Tschaikowsky mit allerhand Virtuositäten für das Solo-Violoncello.

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Kammerspiel zwischen Cello und Orchester

Trotzdem, sagt Sol Gabetta, solle der Solist nicht im Mittelpunkt stehen wie der Trapezkünstler im Zirkus.  Tschaikowsky hat in den Variationen ein feines, bezaubernd graziöses Kammerspiel zwischen Solo-Cello und Orchester angelegt. Zwar prägen das Stück die für ihn typischen Klangfarben, etwa die elegisch-melancholischen Holzbläser und die dunkel grundierten Streicher. Doch die Orchesterbesetzung ist radikal entschlackt und, anstatt pathetisch zu schluchzen, singt und schwebt die Kantilene in lichtem C-Dur.

Verspieltheit und Eleganz

Die Cellistin Sol Gabetta | Bildquelle: Uwe Arens Die Cellistin Sol Gabetta | Bildquelle: Uwe Arens "Ich habe mich zuerst in die Variation Nummer 3 verliebt", sagt Sol Gabetta. "Irgendetwas gibt es in diesen Harmonien, in diesen Melodien, das mich einfach immer zu Tränen rührt. Meine Schwierigkeit war, an diese Variation heranzukommen, ohne dass ich mich emotional plötzlich verliere!" Die Herausforderung an den Variationen sei ihre Flüchtigkeit, dass alles so schnell vorbeigehe, so die Cellistin. Auch in dieser Hinsicht scheint sich Tschaikowsky an der Musik der Mozart-Zeit zu orientieren: Denn er meidet die romantisch ausladende, grüblerische Geste, wie man sie vor allem aus seinen letzten Symphonien kennt. Stattdessen gibt er sich in den "Rokoko-Variationen" verspielt und elegant.

Der Gang in den Grand Canyon

Gerade dieses Miniaturhafte, Charaktervolle erschwert es dem Solisten, die unterschiedlichen Stimmungen auf den Punkt zu bringen. Zumal gleichzeitig die technischen Schwierigkeiten von Variation zu Variation anwachsen. Sol Gabetta: "Die Triller liebe ich sowieso. Manchmal sagt man, dass Triller sehr schwer sind, aber ich liebe sie. Sie sind für mich die Sprache eines Vogels, etwas sehr Lebendiges." Und die Triller sind eine Spielart von Tschaikowskys Verzierungskunst. "Das ist die totale Revolution", erklärt Sol Gabetta. "Alles wird zusammengepackt, was es vorher schon gab. Und dann kommen natürlich die ganz großen Schwierigkeiten mit den Oktaven, worüber man sich als Solistin nur freuen kann. Das ist wirklich ein Spaß, man muss einfach keine Angst haben. Wenn sich man schon entschieden hat, in den Grand Canyon zu laufen, dann ist man schon mittendrin und kann man es nur genießen – egal was passiert!"

Musik-Info

Peter Tschaikowsky:
"Rokoko-Variationen", op. 33


Sol Gabetta (Violoncello)
Münchner Rundfunkorchester
Leitung: Ari Rasilainen
Label: RCA

Sendung: "Das starke Stück" am 06. Juni 2023, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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