Sie ist begehrt bei Solisten wie bei Zuhörern: die Cellosonate von Dmitrij Schostakowitsch, uraufgeführt 1934. Das Werk ist Schostakowitschs erstes großes Kammermusikwerk nach seinem Studium am St. Petersburger Konservatorium. Uta Sailer stellt das tiefgründige Stück zusammen mit dem Cellisten Johannes Moser vor.
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Die Sendung zum Anhören
Russland, 1934. Stalin hat soeben den sozialistischen Realismus verkündet – als ästhetische Prämisse für die Dichter und Denker des Landes. Optimistisch sollten sie schreiben, volksnah und verständlich für jedermann. Dasselbe galt für die Musik. Schostakowitschs Musik war anders. "Die Nase" oder "Lady Macbeth von Mzensk" gaben Anstoß zur Irritation. Musik, die modern ist. Musik, die aufrüttelt. Musik, die provoziert. Stalin reagiert, Schostakowitsch wird zum Feind.
Elegisch erhebt sich das Violoncello zu Beginn der Sonate über den vom Klavier bereiteten Klangteppich. Wohlige Klänge. Resignierte Reaktion auf die Kulturpropaganda Stalins? Für den Cellisten Johannes Moser stellt es sich anders dar: "Im ersten Satz kontrastiert der Realismus das Tagesgeschehen ganz stark mit den individuellen Träumen. Diese rastlose Klavierfigur am Anfang symbolisiert das ganz normale Tagesgeschehen, man klinkt sich ein, aber das Geschehen läuft weiter." Wenn das Geschehen dann doch mal unterbrochen wird, dann von einer Melodie, die so zart und voller Poesie ist, dass sie selbst verhärtete Realisten in entlegene Fantasiewelten befördert. "Besonders zu Herzen geht mir das zweite Thema im ersten Satz, das sogenannte Liebesthema", sagt Moser dazu. "Das spielt sich ganz wunderbar und ist wirklich eine Offenbarung in dieser technischen und kalten Lebenswelt, die Schostakowitsch davor und danach aufbaut. Quasi eine Oase, in die man sich retten kann beim Spielen."
Mein Bild dabei ist: Da steigt jemand die Treppe rauf, und man weiß nicht, wer es ist.
Und als hätte Schostakowitsch bereits geahnt, was ihm an politischer Repression noch bevorsteht, schreibt er gegen Ende des ersten Satzes eine Musik, die ganz konkrete Assoziationen an Verfolgung hervorruft. So sieht es auch Johannes Moser: "Mein Bild dabei ist: Da steigt jemand die Treppe rauf, und man weiß nicht, wer es ist: vielleicht der KGB, vielleicht der Nachbar. Das Individuum sitzt und lauscht: Wer kommt? Klopfen sie oder gehen sie vorüber? Diese Ungewissheit finde ich unglaublich spannend am Ende vom ersten Satz und dann mit der fallenden Quart kommt der Seufzer: Heute gehen sie weiter … Gerade dieses Bild finde ich besonders stark, weil es die Anfänge der Depression, der Krise Schostakowitschs andeutet."
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Johannes Moser | Bildquelle: Sarah Wijzenbeek Motorisch, unbeirrbar läuft die Musik des Zweiten Satzes "Allegro" dahin. Wie besessen. Für Cellist Johannes Moser eine klare Reaktion auf die damalige Entwicklung: "Der Zweite Satz orientiert sich an der Strömung der Zeit, an die Begeisterung für die Industrialisierung. Man war absolut fasziniert von Fabriken, und in Russland ging es damals wirklich zur Sache. Das Mechanische in die Musik zu bringen, das war glaube ich ein großes Anliegen für Schostakowitsch hier im zweiten Satz." Dass Schostakowitsch diese Musik schrieb, war aber wohl kaum ein Zugeständnis an Stalin und seine Forderung nach realistischer Musik. Allein schon die Gattung einer Sonate war keineswegs das, was den Kulturideologen vorschwebte: Reine Instrumentalmusik war unerwünscht, zumindest, wenn ihr kein außermusikalisches Programm zugrunde lag. Und Kammermusik hatte darüber hinaus den unangenehmen Beigeschmack westlicher Dekadenz.
Einsam und versonnen erheben sich die Klänge des "Largo" wie aus dem Nichts. Klänge einer weinenden Seele? Musik gewordene Traurigkeit? Der Komponist selbst hat sich anders dazu geäußert, weiß Johannes Moser: "Es gibt ein russisches Märchen, das ist düster und makaber: Es geht um einen Helden, der auf dem Schlachtfeld steht und vor dem abgeschlagenem Kopf seines Gegners, der dann plötzlich zu sprechen anfängt. Schostakowitsch hat gesagt, dass er dieses Märchen hier zitiert: Auch hier haben wir also ein starkes, dunkles Bild; es spielt aber auch die Groteske wieder mit herein."
Ein abgeschlagener, sprechender Kopf: Ist es Schostakowitsch selbst, der sich als zukünftig Geköpften sieht und zu seinen Mördern spricht? Oder ist das Märchen Deckmantel für eine düstere, einer tiefen Verzweiflung entspringende Musik? Wäre diese Musik wegen zu pessimistischer Grundhaltung abgelehnt worden, so hätte er sich leicht auf das Märchen beziehen und so seinen Kopf retten können.
Heiter und naiv – fast wie ein Kinder- oder Volkslied kommt die Melodie daher, mit der das Finale beginnt. Sie gehört einem Dieb. Einem Dieb, der auf der Flucht ist, sagt Cellist Johannes Moser: "Die Musik scheint hier einen Film zu untermalen. Es geht um einen Dieb, der durch die Stadt läuft und verfolgt wird; die Sache ist sehr spannend."
Eine Verfolgungsjagd als Schlusssatz. Ein heiter-makabrer Ausblick auf Schostakowitschs eigene Verfolgung, die ihm in den Monaten nach der Cellosonate drohen sollte? Diese Doppelbödigkeit der vermeintlich braven Cellosonate aufzuspüren und ans Publikum weiterzugeben, das ist eines der Hauptanliegen für Johannes Moser: "Es gibt diesen schönen Ausspruch: Es bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Vielleicht könnte man auch sagen: Es bleibt einem die Begeisterung im Halse stecken. Wie so oft bei Schostakowitsch gibt es den fulminanten, mitreißenden Schluss – und plötzlich merkt man, da steckt unglaublich viel dahinter. Und zwar nicht nur um Begeisterung auszulösen: Das ist böse gemeint, und dieses Im-Halse-Steckenbleiben – das finde ich faszinierend, wenn das beim Publikum ankommt."
Dmitri Schostakowitsch:
Sonate für Violoncello und Klavier d-Moll, op. 40
Johannes Moser (Violoncello)
Paul Rivinius (Klavier)
Label: Hänssler Classic
Sendung: "Das starke Stück" am 21. März 2023 um 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK