Kaum jemals ist die Ambivalenz der Liebe so vollkommen dargestellt worden wie in Robert Schumanns Liederzyklus "Dichterliebe" aus dem Jahr 1840, das zugleich das Hochzeitsjahr Schumanns war. Für die Interpretation von Bariton Thomas E. Bauer und Pianistin Uta Hielscher spielen die Lebensumstände Schumanns in der Dichterliebe eine wichtige Rolle. Gemeinsam mit Michaela Fridrich stellen sie den Zyklus vor.
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Seltsam schwankend, wie traumtrunken mutet der Anfang von Robert Schumanns Dichterliebe an. Der Zyklus entstand im sogenannten Liederjahr 1840, in dem Schumann die Liedgattung noch über einhundert weitere Stücke bereicherte. Zehn Jahre lang hatte er zuvor fast ausschließlich für Klavier solo komponiert. Und das hört man seinen Liedern deutlich an. Für das Lied-Duo des Bariton Thomas E. Bauer und der Pianistin Uta Hielscher macht die Ebenbürtigkeit von Klavier- und Gesangspart einen besonderen Reiz des Zyklus aus. Uta Hielscher erklärt: "Bei Schumann, und bei der 'Dichterliebe' speziell, merkt man sehr, dass das Klavier den Text weiterinterpretiert und die Emotionen zu Ende bringt. Die Nachspiele sind ja meist sehr lang, das gab es bis dahin nicht." Thomas E. Bauer ergänzt: "Das Phänomen bei diesem Zyklus ist, dass die beiden Elemente Gesang und Klavier durchlässig sind, sich gegenseitig durchdringen, geradezu wie Liebende sich umfangen."
Ich empfinde die 'Dichterliebe' als eines der romantischsten Werke überhaupt.
Als eine "lang entbehrte Seligkeit" beschrieb Schumann 1840 in einem Brief an seine Braut Clara das Komponieren von Liedern. Tatsächlich erwies sich die Hochzeit mit Clara Wieck als eine Triebfeder für seinen Schaffensdrang in jenem Jahr. Uta Hielscher bringt es auf den Punkt: "Die Verschmelzung von Klavier und Gesangsstimme ist natürlich auch ein Symbol seiner Beziehung zu Clara. Ich empfinde die 'Dichterliebe' als eines der romantischsten Werke überhaupt."
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Robert und Clara Schumann | Bildquelle: picture alliance / akg-images Voller Liebesglück, aber auch voller Verzweiflung, Schmerz und Melancholie sind Schumanns Vertonungen der 16 Gedichte, die er Heinrich Heines Zyklus "Lyrisches Intermezzo" entnahm. Darin durchlebt das dichterische Ich alle Höhen und Tiefen einer unglücklichen Liebe. Die eindrucksvolle Vielschichtigkeit der Texte Heines wird in Schumanns Vertonungen oft noch übertroffen, findet Thomas E. Bauer: "Zur Vielschichtigkeit dieses Werks gehört, dass die Lebensumstände natürlich eine Rolle spielen – die Freude über die Heirat mit Clara –, aber auch die vielen anderen Elemente: das Visionäre, das Sarkastische, die Ahnung der bevorstehenden Krankheit. Ich glaube, bei aller Liebesschwärmerei muss man in dem Werk auch das Zwanghafte und Dämonische sehen."
Eine schillernde Komplexität kennzeichnet die Genialität der Vertonungen Schumanns. So kommt es auch im häufig wegen des vermeintlich vordergründigen Polterns geschmähten 7. Lied zu einem ambivalenten Spiel zwischen Wort und Klang: "Ich grolle nicht", sagt der Dichter, und die Musik widerspricht mit so betont zornerfüllten Klängen, dass deren Übertriebenheit der nicht ganz ernst gemeinten Wortaussage wiederum recht zu geben scheint. Nicht Groll, sondern Verzweiflung befällt den Dichter angesichts der Untreue seiner Geliebten.
Heines eindeutige Zweideutigkeiten verlieren bei Schumann oft ihre Klarheit und Schärfe. Hinter der Ironie des Dichters blitzt in der Musik der Schmerz hervor, manchmal auch Gefühlsüberschwang. "Heine sagt ein bisschen flapsig am Schluss: Naja ... Und dann zerfließt halt doch alles wie eitel Schaum, nach dem Motto: Da kann man nichts machen." So Thomas E. Bauer. "Aber bei Schumann hat das Ganze immer noch etwas Schwärmerisches und Märchenhaftes. "
Der Bariton Thomas E. Bauer | Bildquelle: Marco Borggreve Bei aller Melancholie und Schmerzerfülltheit offenbart Schumanns Musik – oft besonders in den ausgedehnten Nachspielen des Klaviers – einen verhaltenen Optimismus. Das offenbart sich für Uta Hielscher und Thomas E. Bauer auch in den letzten Takten des abschließenden Nachspiels: "Es ist ein Moment, in dem es harmonisch plötzlich klar wird, dass er dort angekommen ist, wonach er sich gesehnt hat. Das hat etwas Visionäres – als ob sich für einen Moment der Blick öffnet in etwas ganz Anderes als das, was in den 16 Liedern vorangegangen war. Für einen Moment hat man eine positive Vision, eine positive Perspektive."
Robert Schumann:
Dichterliebe, op. 48
Thomas E. Bauer (Bariton)
Uta Hielscher (Klavier)
Label: Naxos
Sendung: "Das starke Stück" am 13. September 2022, 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK