Kennst Du das Land, wo die Zitronen blüh'n? Italien war lange Zeit das Land der Musik, in das man reiste, um Musiker zu werden. "Ich weiß das Land nicht zu finden" hatte es Goethe einmal auf den Punkt gebracht. Doch schon vorher reiste ein Musiker im Jahr 1609 nach Italien: Heinrich Schütz. Henrico Sagittario nannte er sich auf dem Titelblatt seines Opus 1 – seinem ersten vollgültigen Werk, komponiert in Italien in italienischer Sprache. War er ein Mittler zwischen zwei Kulturen? BR-KLASSIK sprach mit Konrad Junghänel über diese Madrigale. Junghänel ist der Leiter des Ensembles Cantus Cölln.
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Vielleicht wusste er da ja gar nicht, wie ihm geschah. Auf jeden Fall wusste er immer noch nicht, ob er Musiker werden sollte. Denn Landgraf Moritz von Hessen – ein musisch interessierter Fürst – hatte ihn als Jungen bereits so lieblich singen gehört, dass er ihn an seinem Hof hatte ausbilden lassen. Den jungen Mann zog es später dennoch zum Studium der Rechte.
Schließlich tauchte jener musikalische Fürst eines Tages in der Universitätsstadt Marburg auf. Und so kam der junge Mann, neugierig auf die Welt, unverhofft zu einem Studium der Musik – "In Meinung, dass er nächst seiner Wiederkehre aus Italien/ dennoch fernerweit zu den Büchern greifen und seine Studia in mehreren continuieren könnte." Es lockte das Land der Musik – "wo ein hochberümbter, aber doch ziemlich alter Musikus und Komponist noch am Leben wäre." Es war Giovanni Gabrieli. Der hatte im Markusdom von Venedig mehrchörig musizieren lassen zu 16 oder 19 oder manchmal sogar zu 22 Stimmen. Schließlich sollte unter seiner Anleitung jener Jura-Student sein Gesellenstück schreiben: "Il primo libro de Madrigali di Henrico Sagittario, Alemanno. Anno 1611".
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Dieses Opus ist mit Sicherheit das Italienischste, was Heinrich Schütz jemals geschrieben hat.
Konrad Junghänel | Bildquelle: Wolf Nolting Handelt es sich also um italienische Musik? Was sagt Konrad Junghänel dazu? "Ich glaube, wenn Sie diese Stücke jemandem vorführen würden, der nicht weiß, dass sie von Schütz sind, der würde nicht auf diesen Komponisten kommen, sondern würde auf einen ihm nicht bekannten Italiener tippen. Dieses Opus ist im gesamten Oeuvre von Heinrich Schütz mit Sicherheit das Italienischste, was er jemals geschrieben hat. Gleich das erste Madrigal 'O Primavera' lebt von dem ganzen Duktus, der Harmonie. Der musikalische Sprachverlauf ist so eng verknüpft mit der italienischen Sprache, das würde man auf Deutsch nie so schreiben."
Deutschland? Ein Flickenteppich. Königreiche. Fürstentümer. Städte. Zwergstaaten. Fürsten wetteiferten im Unterhalten von Musenhöfen. Luther sollte die Bibel übersetzen und eine Sprache, die überall verstanden wurde, erst erfinden. Luther-Deutsch. "Venedig kennt dich schon vor drei und Sechzig Jahren / Und wenn du nur gewollt / so hättsu können sein / Der Andre Gabriel". So lautete ein Nachruf auf jenen Henrico Sagittario viele Jahre später.
Doch Heinrich Schütz wollte kein anderer Gabrieli werden. Zurück aus Italien komponierte er Musik in deutscher Sprache. Das Handwerkszeug hierfür hatte er in Italien gelernt. Hatte seinen Monteverdi studiert. Die Vertonung von Texten müsse den Gesetzen der Worte folgen nicht denen der Musik. "Seconda prattica overo Perfettione della moderna musica." Erprobt auch von Heinrich Schütz. Er verließ Venedig 1613, nachdem sein Lehrer Giovanni Gabrieli gestorben war. "Aus sonderbare Affection zu seinem guten Andenken" hatte ihm dieser auf dem Sterbebett noch einen Ring vermacht! Wollte Schütz wieder zu juristischen Büchern und gelehrten Abhandlungen greifen? Nein, er war inzwischen ein Musiker geworden. Seinen fürstlicher Gönner übrigens, Markgraf Moritz von Hessen, hatte er tönend verewigt in seinem Opus eins.
Heinrich Schütz:
Italienische Madrigale, op. 1
Cantus Cölln
Leitung: Konrad Junghänel
Label: harmonia mundi
Sendung: "Das starke Stück" am 20. Februar 2024, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK