Zlonice, 02. November 1856: Die Metzgerzunft stellt Antonín Dvořák einen Gesellenbrief aus. Oder auch nicht. Das Dokument jedenfalls gibt es. Ein Schmuckblatt mit vorgedrucktem Text, die Überschrift in kräftigen Lettern: "Wir, die Endesunterzeichneten, bestätigen hiermit ...".
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Natürlich alles auf Tschechisch. Mit Hand eingetragen der Name "Antonius Dwořák", mit "w" geschrieben – und bestätigt wird, dass dieser "Dwořák" seine zwei Jahre Lehrzeit hinter sich gebracht hat, dass er sich fleißig und sittsam aufgeführt hat, und dass er jetzt erwarten kann, dass man ihn mit diesem Zeugnis als Metzgergeselle überall freundlich aufnehmen wird. Ein schönes Dokument, das einen Nachteil hat. Man weiß nicht, wo es ist. Es ist spurlos verschwunden.
Aufgetaucht war es – unter mysteriösen Umständen – im Jahr 1936. Es ist fotografiert worden und mehrmals abgedruckt, und dann ist das Blatt – ebenso geheimnisvoll – wieder verschwunden. Der Dvořák-Biograf, durch den es bekannt geworden ist, hat sich bemüht, die Personen auf dem Dokument zu verifizieren. Das hat er aber nicht wirklich ausführlich gemacht, denn es hat einfach so gut gepasst zu alledem, was man schon wusste über den jungen Dvořák. Der Sohn eines Metzgers und Gastwirts, der dem Vater als Kind schon beim Schlachten geholfen hat, und den man – mit dreizehn Jahren – zu einem Onkel nach Zlonice geschickt hat, damit er dort Deutsch lernt. Und die Musik, sagen die einen, andere dagegen: weil der Vater wollte, dass sein Sohn – wie er selber – Metzger werde. Da war so ein Gesellenbrief dann nur folgerichtig. Und so stand lange Zeit in der Dvořák-Literatur zu lesen: Unser Komponist war ein gelernter Metzger.
Viel später erst hat der Dvořák-Experte Jarmil Burghauser sich den Brief näher angesehen. Und hat festgestellt, dass daran einiges nicht stimmt. Die "Endesunterzeichneten" waren gar keine Metzgermeister, sondern Zimmerleute. In den Aufzeichnungen der Zlonitzer Metzger-Innung taucht kein Antonín Dvořák als Lehrling auf, die notwendigen Eintragungen in der Sonntagsschule fehlen auch. Und "Antonius", sagt Burghauser, diese latinisierte Namensform schaut zwar auf einem Dokument schön altertümlich aus, aber die hat man zu der Zeit gar nicht benutzt.
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Antonín Dvořák - Symphony No 1. in C-Minor, "The Bells of Zlonice"
Aus all dem schließt Burghauser, dass es sich bei diesem Gesellenbrief um ein vorgedrucktes Formular für einen Zimmermannsgesellen handelt, in das irgendjemand Antonín Dvořáks Daten eingetragen hat. Wer das getan hat, wer diesen "Gesellenbrief Dvořáks" erfunden und gefälscht hat, das weiß man bis heute nicht. Wohl irgendein Scherzbold mit einem eigenwilligen Humor.
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Sendung: "Allegro" am 02. November 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK